Leitartikel11. September 2024

Feierlichkeiten zur Befreiung vor neuen Schatten der Vergangenheit

von

Während Luxemburg dieser Tage den 80. Jahrestag der Befreiung vom Hitlerfaschismus feiert, tun sich überall in Europa neue Gräben auf, aus denen der Schwefel hervorsteigt, den wir längst hinter uns zu lassen geglaubt hatten. Nicht nur in Italien und Frankreich sind Parteien längst etabliert, die ganz offen mit dem kokettieren, deren Überwindung gerade in Luxemburg gefeiert wurde. Und selbst hierzulande regen sich derartige Kräfte, zwar derzeit noch weniger massiv, doch deutlich sicht- hör- und auch lesbar.

In einer ARD-Dokumentation am Montagabend schildern Betroffene gesellschaftlich engagierte Menschen vom Basketballtrainer über Kulturschaffende, bis hin zu Politikern ihre Lage im Deutschland von 2024, insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern, die gerade extreme Wahlergebnisse produziert hatten, und jene, die es demnächst wohl noch tun werden. Sehr bedrückend die Szene, als der Reporter Simone Taubeneck, parteilose Bürgermeisterin der Stadt Forst (Lausitz), fragt, wie groß ihre Angst sei, daß »es kippt«. Betretene Miene und Schweigen.

Denn klar ist: Diese Entwicklung war absehbar. Seit Jahrzehnten steigt die Zahl der frustrierten Menschen, seit Jahrzehnten stagniert die gesellschaftliche Entwicklung, werden Gräben ausgehoben durch die katastrophale Sozialpolitik der »Volksparteien«, deren führenden Köpfen neben den eigenen Taschen insbesondre jene ihres Klientel wichtig sind. Sozialhilfe gekürzt, Renten gekürzt. Verelendung ganzer Landstriche war die Folge. Insbesondere im Osten Deutschlands hat man in großen Teilen längst das Vertrauen in »die da oben« verloren.

Wie immer in solchen Krisen bieten sich schnell Parteien mit »einfachen Lösungen« an. Lösungen, die vielen lieber sind, als Probleme zu diskutieren und deren Wurzel zu suchen. Diese einfachen Lösungen haben alle rechten Parteien in Europa gemein. Gemein ist diesen Lösungen wiederum, daß die Folgen katastrophal nicht nur für die Politik des betreffenden Landes, sondern auch für die Wähler solcher Parteien selbst wären. Kaum jemand macht sich die Mühe, solche Programme durchzulesen. Kurzum: Leidtragende der Politik solcher Parteien wären vor allem Geringverdiener mit schlechter oder gar keiner Berufsausbildung sowie Arbeitslose. Diese Zielgruppe macht allerdings etwa bei der deutschen AfD einen großen Teil der Anhänger aus.

Doch sind diese Parteien eben unter anderem auch deshalb so erfolgreich, weil die seit Jahrzehnten staatstragenden Parteien sich wie erwähnt nicht für die Probleme der Menschen interessierten. Wenn nun Vertreter von SPD oder CDU plötzlich mahnend werden angesichts solcher Entwicklungen und etwa SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert die geplanten Grenzkontrollen Deutschlands verteidigt, stellt sich nicht nur die Frage, warum EU-Reisende nun den panischen Aktionismus ertragen müssen. Kein Bürgergeld-Empfänger, dessen »Stütze« gekürzt wird, kann verstehen, warum abgeschobene Straftäter auch noch ein »Handgeld« bekommen. Gleichzeitig wird jedoch Fluchtursache kaum thematisiert. Im deutschen TV zeigte sich ein jesidischer Flüchtling schockiert: »Ich bin vor solchen wie dem Solingen-Attentäter aus meiner Heimat geflüchtet und hier war er mein Nachbar«. So müssen integrationswillige Geflüchtete nun ausbaden, was angerichtet wurde. Gleichzeitig erklärt NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst es müsse »nun reagiert werden«. Hätte auch seine Partei das schon vor Jahrzehnten, anstatt den sozialen Fortschritt zu blockieren,, stünde Deutschland nicht vor diesem neuen Abgrund.