Ein neues Selbstbewußtsein
Der Umsturz im westafrikanischen Niger hat größere Wellen ausgelöst als zunächst angenommen. Und er macht ein völlig neues Selbstbewußtsein deutlich, das nicht nur in Afrika Konturen gewinnt.
Das wachsende Elend der Menschen im Niger dürfte einer der Beweggründe gewesen sein für die Entscheidung der Kommandeure der Präsidentengarde, den gewählten Präsidenten seines Amtes zu entheben. Daß die Unzufriedenheit mit der Politik und dem Verhalten von Präsident Bazoum, dem auch ausgeprägte Korruption vorgeworfen wird, deutlich weiter verbreitet ist, wurde recht bald klar, als sich die Führung des Militärs nicht gegen die Garde wandte, sondern sich offen auf ihre Seite stellte.
Ganz anders die Reaktionen im Westen, wo erneut deutlich gemacht wurde, welche »Werte« von den führenden Leuten gepriesen und verteidigt werden. In Paris, der Hauptstadt der ehemaligen Kolonialmacht, herrschte plötzlich blankes Entsetzen, weil es wieder einmal aufmüpfige Offiziere gewagt hatten, das neokoloniale System der Ausbeutung von Menschen und Ressourcen in Frage zu stellen. Frankreich bezog rund 70 Prozent des Urans aus dem Niger, und produzierte damit in den Atomkraftwerken nicht nur Strom für den eigenen Verbrauch, sondern auch für den Export. Gleichzeitig wird berichtet, daß im Niger bis zu 80 Prozent der Bevölkerung keinen Strom in ihren armseligen Behausungen haben.
Der Niger gehört zu den ärmsten der armen Länder der Welt. Nach dem offiziellen Ende der Kolonialherrschaft hatten sich Frankreich und einige der mächtigsten Konzerne des Landes den Zugang zu den Rohstoffquellen des Niger gesichert und mit den entsprechenden Verträgen dafür gesorgt, daß die Gewinne ausschließlich auf die Konten der französischen Konzerne fließen, und gerade soviel Krümel von ihrem reichgedeckten Tisch übrig gelassen, um eine kleine Elite im Niger bei Laune zu halten.
Zudem waren nach dem Eingreifen der NATO und dem gewaltsamen Sturz und der Ermordung des libyschen Staatschefs Gaddafi jede Menge Waffen, Munition und islamistische Eiferer gen Süden gezogen, die in der Sahel-Region für gehörige Unruhe sorgen konnten. Ein willkommener Anlaß für Frankreich und einige NATO-Verbündete, um dort Truppen zu stationieren, deren Aufgabe als »Kampf gegen den Islamismus« deklariert wurde, die jedoch gleichzeitig daran erinnern sollten, daß man jederzeit mit militärischer Macht »für Ordnung sorgen« kann.
Nach den Umstürzen in Burkina Faso und in Mali begann die militärische Drohkulisse jedoch zu bröckeln. Also suchte man Rückhalt bei ECOWAS, der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft, die bisher immer für die Vertretung der Interessen des Westens gut war. Das Ultimatum, das die Wiedereinsetzung des Präsidenten bis zum vergangenen Sonntag forderte, erwies sich am Montag als Papiertiger. ECOWAS hat keine politische und militärische Macht, um eine solche Forderung durchsetzen zu können. Die Entscheidung über das weitere Vorgehen wurde inzwischen auf Donnerstag vertagt.
Das neue Selbstbewußtsein erstreckt sich jedoch nicht nur auf einige Offiziere und die ihnen unterstellten Mannschaften. In der nigrischen Hauptstadt Niamey strömen seit dem Umsturz tausende Manschen auf die Straßen, und am Sonntag füllten sie ein Stadion, um ihre Unterstützung für die Militärs zu demonstrieren.
Das neue Selbstbewußtsein macht auch deutlich, daß das Abbild der westlichen Demokratie immer mehr Risse bekommt.