Kaleidoskop13. Juni 2024

Millionen Insekten durchfliegen 30 Meter breiten Pyrenäen-Paß

von dpa/ZLV

An einem Gebirgspaß in den Pyrenäen spielt sich alljährlich ein beeindruckendes Schauspiel ab: Geschätzt über 17 Millionen Insekten wandern im Herbst durch eine 30 Meter breite Lücke zwischen zwei Gipfeln im französisch-spanischen Grenzgebiet, berichtet ein Forscherteam im Fachjournal »Proceedings B« der britischen Royal Society. »So viele Insekten zu sehen, die sich alle gleichzeitig zielstrebig in dieselbe Richtung bewegen, ist wirklich eines der großen Wunder der Natur«, sagte Mitautor Karl Wotton von der University of Exeter.

Viele der gen Süden ziehenden Insekten am Puerto de Bujaruelo sind der Analyse zufolge bekannte Gartenbewohner wie der Kohlweißling (Pieris rapae), die Augenfliege (Musca autumnalis) oder winzige, kaum drei Millimeter lange Grasfliegen (Chloropidae). »Es war magisch«, sagte Studienleiter Will Hawkes. »Wenn ich mein Netz durch die scheinbar leere Luft schwang, war es voller winziger Fliegen, die sich alle auf dieser unglaublich großen Wanderung befanden.«

Die Ergebnisse für diesen einen Paß deuteten darauf hin, daß jedes Jahr Insekten im zweistelligen Milliardenbereich die Pyrenäen überqueren und bis nach Spanien, teilweise gar bis Afrika weiterziehen. »Diese wandernden Insekten, insbesondere die Fliegen, sind von enormer Bedeutung für unseren Planeten«, teilte die englische Universität mit. Fast 90 Prozent der erfaßten Insekten seien Bestäuber und transportierten auf ihrer Massenwanderung genetisches Material über große Entfernungen zwischen Pflanzenpopulationen, was die Pflanzengesundheit verbessere.

Im Zuge des Klimawandels sei allerdings mit einer stetig zurückgehenden Zahl ziehender Insekten zu rechnen, hieß es. Mit engagiertem Umwelt- und Klimaschutz seien aber auch wieder positive Entwicklungen möglich: »Insekten sind widerstandsfähig und können sich schnell wieder erholen«, so Hawkes.

Das Forscherteam nutzte aus, daß sich die tagsüber ziehenden Insekten bei bestimmten Windverhältnissen niedrig über dem Paß halten und gut gezählt werden können. »Die Kombination aus hochgelegenen Bergen und Windmustern macht aus einer normalerweise unsichtbaren Höhenwanderung ein vom Boden aus zu beobachtendes Spektakel«, erklärte Wotton. Etwa 90 Prozent der über vier Jahre hinweg im Herbst erfaßten Insekten waren Fliegen. Bekannte Wanderinsekten wie Schmetterlinge und Libellen machten weniger als zwei Prozent aus.

Schon vor mehr als sieben Jahrzehnten, im Herbst 1950, hätten zwei Biologen, die Vogelkundler Elizabeth und David Lack, vom unglaublichen Spektakel der Insektenwanderung am Puerto de Bujaruelo berichtet, erklärte Studienleiter Hawkes. Der damals zufällig entdeckte Zug von Schwebfliegen und anderen Insekten vom Norden in den Süden sei der erste erfaßte Fall von Fliegenmigration in Europa gewesen.

Das Team sei nun zum selben Paß aufgebrochen, um zu sehen, ob diese Migration immer noch stattfindet, und um Anzahl und Arten zu bestimmen. Dabei setzten die Forscher auf Aufnahmen einer Videokamera, die gezielte Beobachtung von Schmetterlingen sowie eine Flugabfangfalle. »Was wir gefunden haben, war wirklich bemerkenswert«, sagte Hawkes.

Noch immer sei die Zahl dort ziehender Schwebfliegen wie der Gemeinen Feldschwebfliege (Eupeodes corollae) groß: »Es gab Tage, an denen die Zahl der Fliegen weit über 3.000 Individuen pro Meter und Minute lag.« Studien aus anderen Regionen Europas zeigten allerdings einen drastischen Rückgang der Zahl der Wanderschwebfliegen um teilweise mehr als 90 Prozent seit 1970. Daher sei auch für den Puerto de Bujaruelo davon auszugehen, daß dort vor Jahrzehnten noch ein Vielfaches an Insekten unterwegs war.