Die letzten Gefangenen von Guantánamo
Das berüchtigte Gefangenenlager der USA in Guantánamo ist inmitten von Krieg und Krisen fast in Vergessenheit geraten. Doch noch immer sitzen hier 31 Gefangene ein.
Der Tag in »Guantánamo Bay« – auf okkupiertem Gebiet auf Kuba – beginnt mit der Nationalhymne der USA. Über Lautsprecher wird die heroisch klingende Melodie über die weite, staubige Bucht am südlichen Zipfel Kubas getragen. Vor der Kommandozentrale des USA-Marinestützpunkts auf Kuba hissen zwei junge Soldatinnen die USA-Flagge. Dahinter liegt türkisfarben das Meer in der Bucht, Palmenblätter rascheln im Wind. Fast könnte man meinen, es gebe keinen friedlicheren Ort auf Erden.
Doch Stacheldraht und strengste Sicherheitsvorkehrungen erinnern daran, daß »Guantánamo Bay« nicht irgendein Militärstützpunkt ist. Vor mehr als 21 Jahren, nach den Anschlägen vom 11. September 2001, errichtete der damalige Präsident George W. Bush hier ein Gefängnis, um mutmaßliche Terroristen ohne Prozeß festzuhalten. Die Rechtslage der Gefangenen, ihre Haftbedingungen, Berichte über die verwendeten Verhör- und Foltermethoden führten international immer wieder zu Protesten. Doch das berüchtigte Gefängnis gibt es noch.
Noch 31 Gefangene
Nach jüngsten Angaben des Pentagon sind in Guantánamo noch immer 31 Menschen inhaftiert. Ihre Haftbedingungen sind nicht mehr die gleichen wie zu Bushs Zeiten. Doch an der Tatsache, daß die USA hier noch immer Menschen ohne Prozeß festhalten, hat sich nichts geändert. »Die meisten der inhaftierten Männer wurden niemals angeklagt, geschweige denn vor Gericht gestellt oder verurteilt«, sagt Daphne Eviatar von Amnesty International in Washington. Nach mehr als zwei Jahrzehnten »dieser himmelschreienden Ungerechtigkeit« sei die USA-Regierung verpflichtet, die verbliebenen Häftlinge in Situationen zu überführen, in denen ihre Menschenrechte geachtet würden.
USA verweigern Aufnahme
Die Schließung des Gefängnisses hat USA-Präsident Joe Biden zu Beginn seiner Amtszeit als Ziel ausgegeben, wie zuvor auch schon der Präsident und Friedennobelpreisträger Barack Obama, unter dem Joe Biden von 2009 bis 2017 Vizepräsident war. Doch der USA-Kongreß hat im jüngsten Verteidigungshaushalt eine gesetzliche Vorgabe erneuert, wonach die USA-Regierung kein Geld für die Aufnahme von Gefangenen aus Guantánamo aufwenden darf. Die Vorgabe gilt auch für die Überstellung in bestimmte Länder wie Somalia oder den Jemen – oder gar für die Schließung des Marinestützpunkts.
Dort spielt sich ein Leben ab, das mit dem der Gefangenen in dem abgeschotteten Lager nur wenig zu tun hat: Der Militärstützpunkt, der von seinen rund 6.000 Bewohnern »liebevoll« »Gitmo« genannt wird, gleicht einer kleinen Stadt in den USA. Es gibt mehrere Wohnsiedlungen, einen großen Supermarkt, eine Kirche, eine Auto-Waschanlage, ein Freiluft-Kino und einen McDonald's. In einem Souvenir-Shop werden Guantánamo-Shirts und andere Andenken verkauft.
Die USA-Regierung kann eine Schließung des Gefängnisses nicht aus eigener Kraft umsetzen. Biden ist auf die Hilfe anderer Länder angewiesen. 17 der 31 letzten Gefangenen von Guantánamo kommen nach Angaben des Pentagon für eine Überstellung sofort in Frage, einige warten schon seit Jahren darauf. Die USA-Regierung hat die Transfers in diesen Fällen genehmigt, weil sie aus ihrer Sicht keine »Bedrohung der nationalen Sicherheit« darstellen.
Seit Beginn von Bidens Amtszeit hat es nach Pentagon-Angaben neun Überstellungen gegeben, einige davon in den vergangenen Tagen und Wochen. Bis auf eine Ausnahme kehrten alle in ihre Herkunftsländer zurück. Anwalt Wells Dixon vom Center for Constitutional Rights in New York, der selbst Gefangene vertritt, sieht darin einen »gewissen Fortschritt«, sagt aber auch: »Das ist keine Überstellungsrate, die in den nächsten Jahren zu einer Schließung führen wird.«
Im Gegensatz zu den bereits überstellten Gefangenen könnten die nun verbliebenen 17, die für einen sofortigen Transfer in Frage kommen, nicht in ihre Heimat zurückkehren – aus »humanitären Gründen« und weil es das USA-Gesetz nicht erlaube, erklärt Dixon. Viele von ihnen kämen etwa aus dem Jemen. »Sie werden solange in Guantánamo bleiben, bis sich andere Länder bereit erklären, sie aufzunehmen und ihnen ein neues Zuhause zu bieten.«
Aber es gibt auch deutlich komplexere Fälle – etwa die jener Gefangenen, die vor dem Militärtribunal in Guantánamo angeklagt wurden. Einer von ihnen ist der 63-jährige Hadi al-Iraqi, über dessen Zukunft derzeit vor dem Sondertribunal verhandelt wird. Im vergangenen Jahr bekannte er sich im Rahmen eines sogenannten Plea Agreements, einer Vereinbarung mit der Strafverfolgung, schuldig, in den Jahren 2003 und 2004 als hochrangiges Mitglied von Al-Kaida Anschläge auf USA-Streitkräfte und Alliierte in Afghanistan verantwortet zu haben.
Politischer Wille fehlt
Die USA wollen sich binnen zwei Jahren um seine Überstellung in ein Drittland bemühen, wo er die medizinische Versorgung bekommen kann, die er aus Sicht seiner Anwälte dringend benötigt. »Wenn es der Regierung ernst ist mit der Schließung des Gefängnisses, dann muß sie auch über eine Lösung dieser Fälle verhandeln«, sagt Anwalt Dixon. Auch Chalid Scheich Mohammed, ein angeblicher »Drahtzieher« der Anschläge vom 11. September 2001, und vier weitere Männer, müssen sich vor dem Tribunal verantworten.
Anwalt Wells Dixon sagt, Biden fehle der »politische und diplomatische Wille«, Guantánamo zu schließen. »Solange es Guantánamo gibt, haben viele Länder auf der ganzen Welt, sicherlich die meisten Verbündeten der USA, die Schließung von Guantánamo gefordert, haben erkannt und verstanden, daß Guantánamo eine humanitäre Katastrophe und rechtswidrig ist«, sagt Dixon. »Aber das reicht nicht aus, um die Schließung von Guantánamo zu erreichen.«