Leitartikel06. September 2024

Agrarpolitische Traumtänzerei?

von Alain Herman

Waren die Fruchtmahd und Drescharbeiten für die zahlreichen »Kräizerbauern« bis in die 1960er Jahre hinein aufgrund des hohen Anteils körperlicher Arbeit unglaublich mühevoll – die Erträge reichten zumeist nur, um den kleinen Viehbestand während des Winters durchzufüttern und finanziell die Familie über Wasser zu halten –, so haben hochmotorisierte Landmaschinen wie Mähdrescher, Vollernter usw. Sense, Garbenbund und Dreschkasten ersetzt. Innerhalb kürzester Zeit hat die Mechanisierung die Landwirtschaft auf Ertrags- und Effizienzniveau revolutioniert.

Wegen des Dauerregens im Herbst und im Frühjahr begann der »Karschnatz« etwas später als sonst; die meteorlogischen Bedingungen während und nach der Aussaat waren nicht optimal, so dass bereits im Juni Ernteeinbußen prognostiziert wurden. Aufgrund der nicht zu verleugnenden Folgen des Klimawandels fällt die Getreideernte tatsächlich unterdurchschnittlich aus, wobei der qualitativ hochwertige Winterweizen am meisten zu leiden hatte; doch auch die Erträge beim Sommerweizen gestalten sich problematisch. Ein nicht geringer Prozentsatz wird damit wohl als Futterweizen enden. Dieser Abwärtstrend ist seit etwas mehr als zehn Jahren zu beobachten.

Unweigerlich mit diesen Auswirkungen des Klimawandels, der chemischen Abnutzung der Böden und nicht zuletzt mit den Preisdiktaten der Lebensmittelindustrie verbunden ist das Phänomen des »Bauernsterbens«. Seit 1985, als es noch 4.300 Höfe gab, hat sich die Anzahl der Betriebe mehr als halbiert. Die Auflösungen führen auch im kleinen Luxemburg zu einer Umwandlung der Betriebsstrukturen hin zu größeren mittelständischen Unternehmen und somit indirekt zu einem Machtzuwachs der international agierenden Agrarkonzerne. Die Zeit der Klein- und Mischbauern ist so gut wie passé.

Hier muss die öffentliche Hand in Zukunft verstärkt eingreifen. Das kann gelingen, indem Staat und Gemeinden bei der Verpachtung oder beim Verkauf von einheitlichen Höfen ohne direkte Erbfolge ein Vorrecht bekämen unter Vorweis eines langfristig angelegten Projekts, so dass die Betriebe in Form von Kooperativen erhalten blieben. Eine solche Umstrukturierung hätte zudem den Vorteil, dass auf größeren Anbauflächen agrarwissenschaftlich geforscht werden könnte. So ließe sich, ohne Risiko für Familienbetriebe und bestehende Genossenschaften, unter den klimatischen Bedingungen Luxemburgs sowie der topografisch und von der Bodenbeschaffenheit doch so unterschiedlichen Mikroregionen des Landes mit (alt-)neuen Kornkulturen und spezifischen Gemüsesorten experimentieren, wobei gerade der biologische Anbau und die Erprobung chemiefreier Schädlingsbekämpfung im Mittelpunkt stehen müssten.

Davon würden langfristig auch die verbliebenen Höfe profitieren, würden sich mit hoher Wahrscheinlichkeit im Bereich des Feldgemüse- und Freilandgemüsebaus sowie anderweitiger Sommer- und Herbstkulturen Nischen ergeben. Dergestalt ließe sich eine ressourcenschonende, auf gentechnisch verändertes Saatgut verzichtende, tiergerechte und auf dem Kreislaufprinzip beruhende Biolandwirtschaft voranbringen.

Angesichts der klientelorientierten Prioritäten der liberal-konservativen Regierung mag es wie agrarpolitische Traumtänzerei anmuten, die Luxemburger Landwirtschaft mittels genossenschaftlicher Initiativen im Sinne einer konsequenten Umwelt-, Ausbildungs- und Arbeitspolitik umzugestalten. Damit über solche Ideen diskutiert werden könnte, bedarf es einer marxistischen, strategisch denkenden Opposition in der Chamber. Die Kommunisten haben in der Vergangenheit auf Gemeindeniveau gezeigt, dass sie mit präzisen Vorschlägen, auch in eher agronomisch gearteten Fragen, bürgerliche Parteien zuweilen zu einem vorsichtigen Umdenken bringen können.