Ausland29. Mai 2024

Zweierlei Konferenzen

Aus dem Globalen Süden kommen Forderungen nach einer Alternative zur parteiischen Schweizer Ukraine-Konferenz. Rußland ist zu Verhandlungen bereit

von German Foreign Policy

Die Ukraine-Konferenz Mitte Juni in der Schweiz gerät zunehmend unter Druck. Einerseits bleiben die erhofften Teilnahmezusagen von Staaten des Globalen Südens und von Spitzenpolitikern wie USA-Präsident Joe Biden aus. Andererseits legen Vorstöße aus dem Globalen Süden den parteilichen PR-Charakter des Schweizer Events offen und bieten Alternativen zu ihm an.

Ohne Biden, ohne Xi?

Die Schweiz ist in Kooperation mit weiteren westlichen Staaten bemüht, der für den 15. und 16. Juni geplanten Ukraine-Konferenz auf dem Bürgenstock bei Luzern ein größtmögliches politisches Gewicht zu verleihen. Die Konferenz ist im unmittelbaren zeitlichen Kontext mit dem G7-Gipfel anberaumt worden, der vom 13. bis zum 15. Juni im italienischen Fasano stattfinden wird; Ziel war es insbesondere, die Anwesenheit von USA-Präsident Joe Biden zu ermöglichen. Jetzt heißt es allerdings, Biden werde wohl nicht teilnehmen. Offiziell werden als Grund wichtige Wahlkampftermine in Kalifornien genannt.

Faktisch aber deutet alles darauf hin, daß die Ursache in der nach aktuellem Stand recht schwachen Beteiligung nichtwestlicher Staaten liegt. Von den Ländern, denen größere politische Bedeutung bei der Vermittlung eines Waffenstillstands beigemessen wird, haben China und Südafrika bereits abgesagt; Brasilien will allenfalls einen weniger prominenten Vertreter entsenden. Aus Bern heißt es, inzwischen hätten rund 70 Staaten zugesagt, »die meisten« von angeblich ihnen »auf Ebene Staats- oder Regierungschef«. Bei der Hälfte handle es sich um nichteuropäische Staaten. Aus Afrika werden Kap Verde und Malawi vertreten sein; weitere Teilnehmer sind bisher nicht bestätigt.

Ein PR-Event

Daß die Anzahl der Zusagen nichtwestlicher Staaten trotz intensiver Bemühungen Berns und weiterer Hauptstädte, darunter Berlin, bisher relativ niedrig ist, liegt insbesondere daran, daß die Zusammenkunft auf der Grundlage der sogenannten »Friedensformel« des ukrainischen Präsidenten Selenski konzipiert wurde; diese sieht faktisch eine bedingungslose Kapitulation Rußlands, den Abzug der russischen Streitkräfte aus allen seit 2014 eroberten Gebieten inklusive der Krim und eine Bezahlung der Reparatur sämtlicher Kriegsschäden aus der russischen Staatskasse vor. Da eine russische Zustimmung zu diesen Forderungen in der Praxis ausgeschlossen ist, ist Moskau zu der Konferenz gar nicht erst eingeladen worden.

Ernsthafte Verhandlungen sind demnach nicht zu erwarten. Beobachter sprachen bereits zu Monatsbeginn offen von einem bloßen »PR-Event«. Dies scheint aktuell ein Dokument zu bestätigen, das offenkundig an Moskau durchgestochen worden ist und bei dem es sich laut Angaben der russischen Regierung um den Entwurf für eine Abschlußerklärung handelt. Die Erklärung umfasse, so heißt es, neun der zehn Elemente von Selenskis »Friedensformel«. Das Schweizer Außenministerium streitet dies nicht ab, teilt aber mit, es sei noch ungewiß, ob man sich überhaupt auf ein Abschlußdokument einigen können werde.

Dabei gerät Bern inzwischen diplomatisch in die Defensive. In der vergangenen Woche haben Brasilien und China eine Erklärung vorgelegt, die einen alternativen Weg zur baldigen Beendigung des Krieges skizziert. Das Dokument ist von Chinas Außenminister Wang Yi und vom außenpolitischen Chefberater des brasilianischen Präsidenten Luis Inácio Lula da Silva, Ex-Außenminister Celso Amorim, in Beijing unterzeichnet worden. Es schlägt vor, daß sämtliche Staaten auf eine Deeskalation der Kämpfe und die Wiederaufnahme der Gespräche zwischen Moskau und Kiew dringen; Ziel solle eine »internationale Friedenskonferenz« sein, die von Rußland und der Ukraine gleichermaßen anerkannt werde, auf der beide Seiten gleichermaßen vertreten seien und auf der »alle Friedenspläne« diskutiert werden könnten.

Einen Zwölf-Punkte-Plan »zur politischen Beilegung der Ukraine-Krise«, der den Krieg beenden und eine weitestmögliche Rückkehr zu den Grundsätzen der UNO-Charta vorbereiten soll, hat China bereits vor mehr als einem Jahr vorgelegt. In Luxemburg hat nur die »Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek«(*) die Initiative im Wortlaut veröffentlicht. Bislang lehnen Kiew und der Westen den Plan prinzipiell ab.

Zu Verhandlungen bereit

Zugleich hat Rußlands Führung in den vergangenen Tagen einmal mehr erklärt, man sei jederzeit zu Verhandlungen mit Kiew bereit. Dies ist nicht neu. Bereits am 23.12.2023 bestätigte die »New York Times« unter Berufung auf zahlreiche Quellen insbesondere in Moskau, Präsident Wladimir Putin habe immer wieder angeboten, die Kämpfe zu stoppen und ohne weiteres zu Friedensgesprächen überzugehen. Am 9. Februar beschrieb das Blatt erneute russische Angebote und hielt fest, diese scheiterten an den USA.

Ende vergangener Woche legte die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf diverse Quellen in Putins Umfeld nach; ihnen zufolge ist Moskau jederzeit zur Einstellung der Kampfhandlungen und einem Übergang zu Gesprächen bereit. Grundlage könne die Übereinkunft sein, die bereits im Frühjahr 2022 vor dem Abschluß gestanden habe, dann jedoch insbesondere auf Betreiben des Westens von der Ukraine abgelehnt worden sei, schrieb die Agentur am 24. Mai. Putin hat das kürzlich bekräftigt, allerdings auch erklärt, Moskau sei – anders als noch 2022 – nicht mehr bereit, die von ihm eroberten Gebiete zurückzugeben.

Der Weg in den Krieg

Unterdessen verschlechtert sich die militärische Lage der Ukraine zusehends. Während im Westen Warnungen vor einer neuen russischen Offensive die Runde machen, ist der Berliner Versuch, neue Flugabwehrsysteme für Kiew zu beschaffen, faktisch gescheitert; weder die Schweiz noch Japan sind bereit, bestellte oder bereits in ihrem Besitz befindliche Patriot-Batterien direkt oder indirekt an die Ukraine weiterzugeben. Während Bern offenkundig seine Neutralität nicht vollständig aufgeben will, stünde Tokio im Fall einer kriegerischen Eskalation des Konflikts zwischen den USA und China bei einer Reduzierung seiner Patriot-Bestände zugunsten der Ukraine ohne ausreichende eigene Verteidigung da.

Ersatzweise dringen auch deutsche Politiker darauf, mit der Ausweitung des Einsatzradius‘ deutscher Waffen oder gar mit den eigenen Streitkräften direkt in den Krieg einzugreifen. So fordert der Grünen-Politiker Anton Hofreiter, die Ukraine solle deutsche Waffen künftig für Angriffe auf russisches Territorium nutzen dürfen. Der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter wiederum dringt darauf, westliche Staaten – darunter wohl auch Deutschland – sollten die »eigene Luftabwehr« auf einen »Korridor von 70 bis 100 Kilometern« im Westen der Ukraine ausdehnen.

Sowohl mit der Bereitstellung von Waffen für Angriffe auf Ziele in Rußland als auch mit Operationen deutscher Soldaten gegen russische Ziele – so etwa russische Raketen – träte die Bundesrepublik aktiv in den Krieg gegen Rußland ein. Treffen Äußerungen der estnischen Ministerpräsidentin Kaja Kallas zu, dann haben einige westliche Staaten dies bereits getan: Es gebe Länder, deren Soldaten bereits ukrainische Militärs auf ukrainischem Territorium ausbildeten, also direkt im Kriegsgebiet operierten, wurde Kallas am 20. Mai von der »Financial Times« zitiert. Dies löse freilich nicht automatisch die Beistandsklausel nach Artikel fünf des NATO-Vertrags aus; die erwähnten, aber nicht namentlich genannten Staaten handelten noch auf eigenes Risiko.

(*)Der Wortlaut dieser Initiative wurde auf Seite 2 in der Printausgabe der »Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek« vom 28. Februar 2023 veröffentlicht