Ausland14. September 2023

Interkontinentale Grüne Transitkorridore

USA und EU wollen China und Rußland aus Westasien zurückdrängen

von Karin Leukefeld

Am Rande des G20-Treffens in Neu Delhi haben die USA und Saudi-Arabien eine Absichtserklärung über ein »Protokolls« zur Entwicklung von »Interkontinentalen Grünen Transitkorridoren« durch Saudi-Arabien unterzeichnet. Ziel ist, Indien über die arabische Halbinsel mit Europa zu verbinden, hieß es in einer gleichlautenden Erklärung von Saudi-Arabien und den USA Wochenende.

Das Projekt soll demnach »die Energiesicherheit erhöhen, die Entwicklung sauberer Energie unterstützen, die digitale Wirtschaft durch digitale Konnektivität und Datenübertragung über Glasfaserkabel fördern und den Handel und den Transport von Gütern auf der Schiene und über Häfen unterstützen«, hieß es. Bestehende Kabel-, Pipeline- und Schienennetze sollen ausgebaut, Hafenkapazitäten erweitert werden. Die USA werden zudem die »Umsetzung der Grünen Korridore« sowie die »Verhandlungen mit den beteiligten Staaten unterstützten«.

USA-Präsident Joe Biden sprach nach der Unterzeichnung des »Memorandum of Understanding« von einem »wirklich großen Deal«, mit dem Häfen über zwei Kontinente verbunden werden sollten. Das werde zu einem »stabilen, wohlhabenderen und integrierten Mittleren Osten« führen, so Biden.

Neues Projekt der Spaltung

Weite Teile des Mittleren Ostens (Westasiens) allerdings bleiben bei der Vereinbarung außen vor. Bei den beteiligten Staaten handelt es sich neben Indien und Saudi-Arabien, um die Vereinigten Arabischen Emirate, Jordanien und Israel. Weder der Jemen, noch der Irak, oder gar Syrien und der Libanon sowie die kleineren Golfemirate kommen dabei vor. Auf der europäischen Seite sitzt die EU-Kommission, die mit »grünen Korridoren« und ihrem 300-Milliarden-Euro-Projekt »Global Gate« den Einfluß Chinas und Rußlands in Zentral- und Westasien und international zurückdrängen will.

Gemeinsam mit Washington will die EU-Kommission konkret Indien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien in das Projekt einbinden, um deren weitere Annäherung an China und Rußland durch ihre Mitgliedschaft bei OPEC Plus, BRICS Plus und deren Neuer Entwicklungsbank sowie der Schanghai Kooperation für Koordination zu durchkreuzen.

Auf Distanz zu Ost und West

Indien, das wie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate auf Distanz zu den Großmächten USA und China bleiben wollen, zeigte sich hoch erfreut über die Zusage der USA und der EU, einen Ost-West-Transportkorridor über Westasien nach Westeuropa zu fördern. Ausaf Sayeed vom indischen Außenministerium erklärte vor Journalisten in Neu Delhi, es seien nicht nur seeseitige Verbindungen zwischen Häfen, sondern auch Zugverbindungen in Planung. Unklar blieb allerdings, wie Züge von der arabischen Halbinsel über den Indischen Ozean nach Indien gelangen sollen.

Über den »Grünen Korridor« nach Europa hinaus verhandelten Indien und Saudi-Arabien ihren bilateralen Handel in lokaler Währung, unabhängig vom US-Dollar, abzuwickeln. Auch ein Freihandelsabkommen zwischen Indien und dem Golfkooperationsrat ist im Gespräch. Zu den acht Abkommen, die beide Länder am Rande des G20-Treffens unterzeichneten, gehört eine Vereinbarung über die Erweiterung der Zusammenarbeit zu einer umfassenden Energiepartnerschaft für erneuerbare Energien, Erdöl und strategische Reserven.

Saudi-Arabien gehört zu den größten Erdöllieferanten für Indien. Das Königreich plant Investitionen in Indien im Wert von 100 Milliarden US-Dollar, darunter für den Bau einer Raffinerieanlage. Beide Länder wollen zudem im Bereich der Raumfahrt, Halbleiterherstellung und Rüstungsgüter enger zusammenarbeiten.

Wettlauf um Transportwege zwischen Ost und West

Der saudische Minister für Investitionen, Khalid Al Falih, erklärte ebenfalls in Neu Delhi, das Projekt der »Grünen Korridore« werde wie einst die Seiden- und Gewürzstraßen den globalen Handel »neu ausbalancieren«. Die historische Seidenstraße durchkreuzte Westasien von Ost nach West und umgekehrt seit dem 5. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung, die Handelsbeziehungen zwischen dem Indischen Ozean und dem Mittelmeer über die Gewürzstraße geht zurück auf vorislamische Zeit.

Seit 2013 hat China mit dem Projekt der »Neuen Seidenstraße« mehr als 60 Länder in Asien, Afrika und Europa zu Land und zu Wasser verbunden. Indien hatte bisher unabhängig davon nach einer Ost-West-Verbindung nach Europa gesucht. Gemeinsam mit Rußland und Iran gründete Indien 2002 das Projekt für die Entwicklung eines Internationalen Nord-Süd-Transportkorridors (INSTC) – ein Netz aus Seewegen, Schienen- und Straßenverbindungen das Mumbai (Indien), den Indischen Ozean, den Iran mit dem Hafen Chababer, Aserbaidschan, dem Kaspischen Meer und Rußland verbindet. Dem Projekt gehören neben Indien, dem Iran, Aserbaidschan und Rußland auch Kasachstan, Armenien, Belarus, Tadschikistan, Kirgistan, Oman, die Ukraine und Syrien an.

Rußland hat die Fertigstellung der Nord-Süd-Eisenbahnlinie von Sankt Petersburg in den Iran und von dort nach Mumbai trotz Kriegen in Syrien und in der Ukraine vorangetrieben und so eine Alternative zum Seeweg zwischen dem Indischen Ozean, den arabischen Golfstaaten durch den Suez-Kanal nach Europa geschaffen. Die Eisenbahnverbindung ist 7.200 Kilometer lang und so angelegt, daß von ihr nicht nur Verbindungen in Eurasien sondern auch mit dem Neuen-Seidenstraßen-Projekt ausgebaut werden können.