Dominante Familiendynastie
Bei den bevorstehenden Wahlen in Griechenland liegt die aktuelle Regierungspartei in Prognosen vorn
Der Premier hat den Sprung gewagt: Kyriakos Mitsotakis beschied seinen 10,3 Millionen Griechen, daß am 21. Mai das neue Parlament gewählt werde. Vorausgegangen war ein heftiges, bisweilen lautstarkes Debattieren über den richtigen Zeitpunkt. Den ursprünglichen Termin, den 9. April, hatte die Regierung gestrichen, nachdem am 28. Februar bei einem Zugunglück auf der Strecke Athen–Thessaloniki 57 Menschen gestorben waren und die Griechen Konsequenzen für die politisch Verantwortlichen forderten.
Obwohl die bis heute nicht gezogen wurden, bleibt allen Meinungsumfragen zufolge Mitsotakis klarer Favorit. Mit deutlich geringerem Abstand allerdings zu Konkurrent und Vorgänger Alexis Tsipras.
Die früher bürgerlich-rechte Regierungspartei Nea Dimokratia (ND) deckt mittlerweile auch den rechten Rand des politischen Spektrums ab. Was am Zulauf von Faschisten liegt, die nach dem Verbot der Bewegung Chrysi Avgi (Goldene Morgendämmerung) vor einigen Jahren zerstreut wurden. Zwei Minister in Mitsotakis’ Kabinett sind ehemalige Anführer der faschistischen Szene Griechenlands. Mit derzeit geschätzten rund 34 Prozent der Wählerstimmen hätte die ND Ende Mai die Nase vorn – Tsipras und seine Syriza (Koalition der radikalen Linken) kämen nach Rechnung der Demoskopen auf rund 29 Prozent. In dem 300 Sitze großen Parlament hätten weder Mitsotakis noch Tsipras die Mehrheit – die erreicht eine einzelne Partei erst ab etwa 48 Prozent. Beide Parteien müßten sich nach aktuellem Stand für die Regierungsbildung Partner suchen.
Der Bonus, der früher dem Sieger zusätzlich zu seinem Wahlergebnis 50 Sitze verschaffte, wurde 2016 unter Tsipras abgeschafft. Und von seinem Nachfolger Mitsotakis, quasi durch die Hintertür, wieder eingeführt. Im Januar 2020 ließ er seine ND-Abgeordneten eine Änderung des erst vier Jahr zuvor verabschiedeten Gesetzes beschließen. Nun gilt: Sollte wegen fehlender Mehrheit keine Regierung zustande kommen, wird zwei Monate später ein weiteres Mal gewählt – in diesem Fall also im Juli. Dann würde der Bonus wieder wirksam, dem Wahlsieger stünden dann 20 zusätzliche Parlamentsplätze zu. Weil sich »natürlich« oder gar »vernünftig« zu nennende Koalitionen zur Zeit für keinen der beiden Parteiführer anbieten, wäre die Entscheidung darüber, wer in den kommenden vier Jahren das Land regieren soll, tatsächlich wohl erst im Juli fällig.
Beide, Tsipras und Mitsotakis, setzen auch auf die Stimmen der rund vier Millionen Auslandsgriechen, die zum ersten Mal an ihrem Wohnort wählen dürfen. Zu Hause hat indes die Phase der großen Worte begonnen, der zahlreichen Versprechen, die – wie alle Griechen wissen – nie in politische Entscheidungen münden werden. Der Regierungschef selbst hat bisher nicht einmal bekannt gemacht, wo er Kandidat sein will: Es könnte Athen sein, Thessaloniki oder auch irgendeine Insel, wo die Klientel überschaubar ist und nichts schiefgehen kann.
Zentrum des florierenden politischen Geschäfts der Familie Mitsotakis ist die kretische Hafenstadt Chanià. Von dort brach einst der 2017 im Alter von 99 Jahren verstorbene Patriarch Konstantinos auf, um eine Dynastie zu gründen, die monarchische und oligarchische Merkmale vereint und in Europa einmalig ist. Sohn Kyriakos dirigiert als Premierminister das Land; dessen ältere Schwester Theodora »Dora« Bakogiannis – ehemalige Außenministerin und Athener Bürgermeisterin – hält die Partei zusammen; des Regierungschefs Neffe und Sohn Bakogiannis’, Konstantinos Bakogiannis, hat das Rathaus der Hauptstadt 2019 sozusagen in Erbfolge übernommen und bestimmt den Alltag von nahezu der Hälfte der Hellenen.
Auch die rein finanziellen Angelegenheiten des Clans haben sich dank politischer Macht gut entwickelt. Bakogiannis und ihre Firmenholdings mischen fast überall mit, wo hohe Gewinne warten: bei Hotels auf Kreta, beim neuen Flughafen Heraklion, bei Autobahntrassen und vielem mehr.