Ausland12. August 2023

Einigung über Grenzübergänge

Hilfslieferungen aus der Türkei nach Idlib werden befristet fortgesetzt

von Karin Leukefeld

Die UNO und die syrische Regierung haben sich auf die weitere Nutzung von drei syrisch-türkischen Grenzübergängen geeinigt, um Hilfsgüter aus der Türkei in Gebiete im Norden und im Nordwesten der syrischen Provinz Idlib zu liefern.

Die Einigung bezieht sich auf die Grenzübergänge Bab al-Salam, Bab al Ra’i und Bab al Hawa, die auf syrischer Seite von bewaffneten Gruppen von Regierungsgegnern kontrolliert werden. Unterstützt werden diese islamistischen Gruppen von der Türkei, die weite Teile Syriens im Norden und Westen des Landes direkt und indirekt – durch die bewaffneten Gruppen – besetzt hält.

Das internationale Recht

Syrien ist Gründungsmitglied der Organisation der Vereinten Nationen und wird durch die syrische Regierung in Damaskus in allen UNO-Gremium und anderen mit der UNO verbundenen Institutionen vertreten. Humanitäre Hilfslieferungen unterliegen dem humanitären internationalen Recht und werden auf dieser Grundlage in dem jeweiligen Land in Absprache mit der dortigen Regierung verteilt.

Die Fremdkontrolle des syrischen Territoriums durch regierungsfeindliche bewaffnete Gruppen und die Nutzung der Grenzübergänge ohne die Zustimmung der syrischen Regierung ist bereits eine eklatante Verletzung der UNO-Charta und des Internationalen Rechts. Die bewaffneten Gegner der syrischen Regierung und deren ausländische Unterstützer – insbesondere die Türkei, Katar, die USA und die von den USA geführte »Koalition gegen den Islamischen Staat« – ignorieren das Internationale Recht und halten Teile des Landes im Westen, Norden und Osten Syriens besetzt.

Die UNO dagegen ist an die UNO-Charta und an das Internationale Recht gebunden. Um die Grenzübergänge für Hilfslieferungen zu nutzen, benötigt die UNO die Zustimmung der syrischen Regierung, die für Souveränität und territoriale Integrität Syriens zuständig ist. Stimmt die syrische Regierung nicht zu, benötigt die UNO eine Entscheidung des Sicherheitsrates.

Ausnahmeregelung

2014, als der Krieg in Syrien auf dem Höhepunkt war, und Menschen in vielen Teilen des Landes mit Nahrungsmitteln und medizinisch nicht ausreichend versorgt werden konnten, stimmten die 15 Mitglieder im UNO-Sicherheitsrat einem grenzüberschreitenden Mechanismus (Cross Border Mechanism CBM) zu, um über damals vier Grenzübergänge Hilfe in Gebiete zu bringen, die von bewaffneten Gruppen beansprucht und teilweise kontrolliert wurden. Die syrische Regierung mußte in diesem Fall nicht zustimmen.

Die entsprechenden Resolutionen des Sicherheitsrats der UNO setzten de facto die Kontrolle der Regierung und damit die Souveränität und territoriale Integrität Syriens außer Kraft. Es handelte sich um eine Ausnahmeregelung, die nur befristet Gültigkeit hatte. Mit der Wiederherstellung der staatlichen Kontrolle über mindestens 70 Prozent Syriens sollte die humanitäre Hilfe wieder in Absprache mit der syrischen Regierung erfolgen. Drei von vier Grenzübergängen wurden wieder geschlossen.

Kontroverse um Bab al Hawa

Geöffnet blieb der Grenzübergang Bab al Hawa, der die Türkei mit dem Nordwesten der syrischen Provinz Idlib verbindet und auf syrischer Seite von Hayat Tahrir al-Sham (HTS) kontrolliert wird. Der Kampfverband sieht sich in der Nachfolge von Al Qaida in Syrien und ist international und von der UNO als Terrororganisation gelistet.

Anfang Juli 2023 führte eine Kontroverse über die weitere Öffnung dieses Grenzübergangs zu einer Pattsituation. Rußland legte im UNO-Sicherheitsrat sein Veto gegen eine Resolution ein, die Bab al-Hawa für weitere neun Monate offenhalten wollte. Die USA, Britannien und Frankreich legten ihrerseits ein Veto gegen eine Resolution ein, mit der Bab al-Hawa für weitere sechs Monate geöffnet bleiben sollte. Mangels einer Einigung blieb Bab al-Hawa geschlossen.

Syriens Regierung will Souveränität zurück

Die syrische Regierung bot eine Öffnung für sechs Monate an – unter der Bedingung, die Hilfslieferungen zu kontrollieren. Die Hilfsgüter sollten in den jeweiligen Gebieten vom Syrisch Arabischen Roten Halbmond (SARC) und vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) verteilt werden, wie im restlichen Teil des Landes.

USA, Britannien, Frankreich, die EU und Dutzende internationaler Hilfsorganisationen sowie Vertreter der politischen und bewaffneten syrischen Opposition lehnten das ab. Die UNO äußerte Zweifel und suchte im Gespräch mit der syrischen Regierung nach einer Lösung. Die wurde nun offenbar zwischen der syrischen Regierung und Martin Griffiths, dem Leiter des UNO-Nothilfeprogramms (OCHA) gefunden. Einzelheiten wurden nicht bekannt.

Der Grenzübergang Bab al-Hawa soll für weitere sechs Monate geöffnet bleiben, teilte Farhan Haq, der stellvertretende Sprecher des UNO-Generalsekretärs Antonio Guterres am Dienstag (NY Ortszeit) mit. Zuvor hatte die syrische Regierung bereits die Öffnung der beiden Grenzübergänge Bab al-Salam und Bab al Ra’i um weitere drei Monate, bis zum 13. November verlängert. Diese beiden Grenzübergänge waren nach dem verheerenden Erdbeben am 6. Februar 2023 seitens der syrischen Regierung geöffnet worden.

Innerhalb Syriens soll über die beiden innersyrischen Frontlinien Sarakib und Sarmada Hilfsgüter für die Gebiete im Nordwesten von Idlib passieren können. Diese Vereinbarung gilt für sechs Monate.