Leitartikel02. Oktober 2024

»Soziale Gerechtigkeit« durch Rentenkürzungen?

von Ali Ruckert

Inzwischen sind es 12 Jahre her, dass der damalige LSAP-Sozialminister di Bartolomeo seine sogenannte »Pension à la carte« in der Chamber deponierte. Das Prinzip dieser »Reform« des Rentensystems im Bereich der Privatwirtschaft war einfach: Die jungen Lohnabhängigen sollten, im Vergleich zur damals bestehenden Rentenregelung, länger arbeiten, um die gleiche Rente zu bekommen, beziehungsweise sich mit 14 Prozent weniger Rente zufriedengeben, sollten sie nicht länger als 40 Jahre arbeiten wollen oder können.

Diese Rentenkürzungsreform, die nicht nur negative Auswirkungen für die jungen Lohnabhängigen nach sich zog, sondern auch die Tür öffnete für die Abschaffung des Ajustement, trat am 1. Januar 2013 in Kraft, da der Widerstand dagegen nicht stark genug war. An den Protestaktionen nahmen viel zu wenig Lohnabhängige teil, als dass dieser staatlich verordnete Sozialabbau hätte vermieden werden können.

Viel zu oft machen sich die Schaffenden und erst recht junge Lohnabhängige keine Gedanken über den Zusammenhang von Löhnen und Renten. Dabei ist es eine Binsenwahrheit, dass niedrige Löhne niedrige Renten zur Folge haben, und der Lohnkampf in den Betrieben daher immer auch ein Kampf für höhere Renten ist.

Findet dieser Lohnkampf nicht statt oder erfolgt mit sozialpartnerschaftlicher Bremse, so dass die Löhne weit hinter der Entwicklung der Produktivität und der Profite zurückbleiben, hat dies auch negative Auswirkungen auf die Renten, unter anderem weil dann die Anpassung der Renten an die Durchschnittslöhne niedriger ausfällt.

Demnächst wollen die Regierungsparteien CSV und DP – mit Unterstützung der Patronatsvereinigungen – unter dem Vorwand, dass der Rentenkasse das Geld ausgehen wird, eine zweite Rentenkürzungsreform vornehmen. Es besteht auch diesmal die Absicht, die Lohnabhängigen auseinanderzudividieren.

Dass dazu ausgerechnet die »soziale Gerechtigkeit« bemüht wird, ist geradezu schamlos, denn zusammen mit der LSAP und den Grünen gehören die CSV und die DP zu jenen Regierungsparteien, die – zur vollen Zufriedenheit des Patronats – in der Vergangenheit immer wieder sowohl strukturelle Erhöhungen des Mindestlohns als auch der Mindestrente verhinderten.

Das hat dazu geführt, dass inzwischen 10 Prozent der Lohnabhängigen arm sind und immer mehr Rentner mit einer Hungerrente über die Runden kommen müssen. Daher drängt sich, bevor man das Wort »Rentenreform« überhaupt in den Mund nehmen sollte, eine strukturelle Erhöhung des Mindestlohns und der Mindestrente um mehrere hundert Euro auf, um sicherzustellen, dass Zehntausende Lohnabhängige und Rentner nicht mehr von Armut bedroht werden.

Was eine langfristige Stabilisierung des Rentensystems angeht, gibt es, wie aus Vorschlägen der Chambre des salariés, des OGBL, der KPL und anderer politischen Kräfte ersichtlich ist, genügend Alternativen, ohne dass dafür Verschlechterungen durchgeboxt werden müssten oder eine teilweise Privatisierung des Rentensystems herhalten müsste.

Nur die Entschlossenheit und Solidarität der Schaffenden und ihrer Organisationen kann erreichen, dass Mindestlohn und Mindestrente erhöht und eine weitere Rentenkürzung verhindert wird.