Ausland18. Juli 2024

Pressefreiheit unter Beschuß

Kritische Berichterstattung unerwünscht: Die deutsche Tageszeitung »junge Welt« wird vom Inlandsgeheimdienst bekämpft und soll mundtot gemacht werden

von jW/ZLV

Der Verfassungsanspruch läßt wenig Raum für Interpretationen, Artikel 5 des Grundgesetzes ist unmißverständlich: »Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.«

Die Realität, zumal in Zeiten von Krise und Krieg, sieht anders aus, das zeigt der staatliche Umgang mit der Tageszeitung »junge Welt« (jW) auf erschreckende Weise. Mit besonderem Hinweis auf ihre »Wirkmächtigkeit« soll der in Berlin erscheinenden unabhängigen linken Tageszeitung der »Nährboden« entzogen werden, wie die Bundesregierung 2021 in Beantwortung einer Kleinen Anfrage der Linksfraktion im deutschen Bundestag wissen ließ.

Die offizielle Position ist in dem 18-seitigen Dokument ausformuliert: Die »jW« vertritt mißliebige politische Ansichten, vor allem aber gewinnt sie entgegen allen Trends an Auflage. Daher wird sie wegen »linksextremistischer Politikvorstellungen« angeprangert. So setzt auch der Inlandsgeheimdienst seine Instrumente gezielt zu ihrer Überwachung und Bekämpfung ein. Der Verlag 8. Mai GmbH, in dem die »junge Welt« erscheint, wehrt sich auch juristisch gegen dieses EU-weit beispiellose Vorgehen und hat vor gut drei Jahren Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland eingereicht. Der erste Verhandlungstag in der Hauptsache wurde vom Verwaltungsgericht Berlin für den heutigen Donnerstag angesetzt.

Bereits seit 1998 taucht die »jW« als einzige Tageszeitung immer wieder im Verfassungsschutzbericht auf. Rufschädigung und Nachteile im Wettbewerb, die sich in jüngster Zeit häufen, sind – siehe oben – ausdrücklich erwünscht. Dieser unverhohlene Angriff auf die grundgesetzlich garantierte Pressefreiheit hat es in sich: Nach amtlicher Lesart ist die »jW« keineswegs nur ein journalistisches Produkt, sondern eine »Struktur«, die Redaktion ein »Personenzusammenschluß« mit dem Ziel der Herbeiführung eines Umsturzes.

In Wahrheit sind es die Positionen der Zeitung, die gleichsam als »Gedankenverbrechen« delegitimiert werden sollen. »Dabei nimmt diese Zeitung ihrem Selbstverständnis als fortschrittliches Medium gemäß schlichtweg die Wächterrolle der Presse ernst, berichtet kritisch und unabhängig über politische und wirtschaftliche Vorgänge«, betonen Chefredakteur Stefan Huth und Geschäftsführer Dietmar Koschmieder in einer Presseerklärung.

Wie jede Zeitung hat auch die »jW« eine Blattlinie, heißt es darin. Ihr Analyseinstrument ist der Marxismus. »Sie stellt die Ökonomie ins Zentrum, fragt nach Interessen, Klassenwidersprüchen und der Veränderbarkeit sozialer Verhältnisse. Und erzeugt, so der Anspruch, mit diesem Denkansatz ein konturiertes, facettenreiches und tiefenscharfes Bild der Gesellschaft in Geschichte und Gegenwart. Wenig erstaunlich: Als präzise Erkenntnismethode ist der Marxismus in den Wissenschaften international seit langem etabliert.«

»Der Ansatz hilft uns journalistisch, auch die internationalen Beziehungen in ihrer Widersprüchlichkeit und Entwicklung zu erkennen, die Dinge beim Namen zu nennen«, schreiben Stefan Huth und Dietmar Koschmieder. So kommt die »jW« mit Blick auf die weltpolitischen Großkonflikte in der Ukraine oder in Nahost zu anderen Schlüssen als die meisten Medien in Deutschland, spricht sich in beiden Fällen konsequent gegen Waffenlieferungen und für diplomatische Lösungen aus. Das stört und soll offenbar gerade deshalb unterbunden werden. Der Versuch, unbotmäßige Berichterstattung zu behindern, zeugt auch von einem Verfall bürgerlicher Rechtskultur. Die Freiheit stirbt bekanntlich zentimeterweise, so geht es hier mitnichten allein um die »jW«.

Redaktion, Verlag und Genossenschaft der Tageszeitung »junge Welt« haben sich entschlossen, der staatlichen Willkür entgegenzutreten und ihren Fall einer größeren Öffentlichkeit bekanntzumachen, über Hintergründe zu informieren, den Vorgang politisch einzuordnen und das journalistische Selbstverständnis der Zeitung darzustellen. Zur Durchsetzung der Pressefreiheit wird es einen langen Atem brauchen – und breite Unterstützung.