Ausland25. Februar 2023

Melonis Crux mit Berlusconi

Regierungskoalition Italiens in den Positionen zur Ukraine gespalten

von Gerhard Feldbauer

Italiens Medien thematisieren weiter die Probleme, die die faschistische Regierungschefin Giorgia Meloni in ihrer Koalition über die Haltung zur Ukraine hat. Die römische »La Repubblica« schrieb, »Meloni befindet sich allein im Griff der Alliierten«, Lega-Chef Salvini und Ex-Premier Berlusconi mit seiner Forza Italia (FI) »halten sich zurück«. Das bezieht sich vor allem darauf, daß Meloni während ihres Besuchs bei Präsident Selenski in Kiew laut der staatlichen Nachrichtenagentur »ANSA« der ukrainischen Führung »die volle Unterstützung Italiens angesichts der russischen Aggression bekräftigt« und erklärt hat, »alle Arten von militärischer, finanzieller und ziviler Unterstützung zu leisten«, um die Bedingungen für Verhandlungen zu schaffen.

Zur Frage, ob Flugzeuge geliefert werden sollten, betonte sie, eine Entscheidung dazu müsse »mit den internationalen Partnern getroffen werden«, Italien konzentriere sich »auf Flugabwehrsysteme«. Dazu hat sie gerade ein Dekret vorgelegt, auf dessen Grundlage die Regierung der Ukraine bis mindestens Ende 2023 Waffen liefern kann, ohne daß das Parlament jeder einzelnen Maßnahme zustimmen muß.

Während Meloni auf einer Pressekonferenz in Kiew versicherte, daß auch die Parteien von Berlusconi und Salvini die Ukraine immer unterstützt hätten, sieht die Realität anders aus. Silvio Berlusconi hatte mit der Bemerkung »ich wäre nicht nach Kiew gefahren« Melonis Reise kritisiert. Er gilt bei den Medien und vielen Politikern als »Putinversteher«, der dem russischen Präsidenten zum Geburtstag 20 Flaschen Lambrusco-Champagner schenkte, quasi als Gegenleistung für 20 Flaschen Wodka, die er zu seinem Geburtstag erhielt. Im Wahlkampf machte Berlusconi im September 2022 die Bemerkung, Putin habe Selenski doch nur »durch ein paar vernünftige Leute« ersetzen wollen.

Ungeachtet dieser Äußerungen mußte Meloni die Forza Italia von Berlusconi in ihre im Oktober 2022 gebildete Regierung aufnahmen, weil sie sonst keine Mehrheit gehabt hätte. Ähnlich Salvini, der sich mit Putin in Moskau treffen wollte und dazu einen Flug nach Moskau gebucht hatte, den angeblich Putin bezahlt haben soll. Er sagte die Reise dann zwar ab, blieb aber – auch bis heute – auf Distanz zu den Sanktionen gegen Rußland.

Und dahinter stehen, wie Insider in Rom annehmen, Kapitalkreise, die schwer von den in der EU verhängten und von der Regierung befolgten Sanktionen betroffen sind. Infolge der explodierenden Rohstoff- und Energiekosten mußten nach Beginn des aktuellen Konflikts in der Ukraine 16 Prozent aller Unternehmen die Produktion reduzieren oder ganz einstellen. Weiteren 30 Prozent droht das gleiche Schicksal. 447 italienische Unternehmen, die in Rußland tätig sind und die einen Umsatz von 7,4 Milliarden Euro eingefahren hatten mußten schließen. Deren Anlagenbestand hatte einen Wert von über 11 Milliarden Euro.

Stark betroffen sind vor allem mittelständische Unternehmen, die in Salvinis Lega ihren Interessenvertreter sehen. Selbst der frühere Premierminister Mario Draghi war bereits auf Distanz zu den von den USA jetzt verschärften Kurs gegangen, Kiew mit immer mehr Waffenlieferungen zum »Sieg« zu verhelfen, den auch die EU mitträgt – entgegen ihren eigenen Interessen.

Offensichtlich um Selenski zu beruhigen, hat sich der Fraktionsvorsitzende von Melonis Brüder Italiens (FdI) in der Abgeordnetenkammer, Tommaso Foti, mit einer kleinen Delegation in die ukrainische Botschaft in Rom begeben, um den Standpunkt Melonis zu bekräftigen. Laut ANSA erklärte Foti, die Haltung der Regierung zur Ukraine entspreche »der von den Brüdern Italiens vorgeschlagenen Linie«, und darin gebe es »keine Zweideutigkeiten«.

Inzwischen haben am vergangen Samstag über fünfzig katholische Vereinigungen und Bewegungen in einem Appell zum Dialog, zu einem Waffenstillstand und zu Verhandlungen aufgerufen. Der Präsident der Italienischen Bischofskonferenz, Matteo Zuppi, sprach vom Dialog als den »einzigen Weg zu einem Waffenstillstand, um die Eskalation zu stoppen, weitere Tote und Zerstörungen zu verhindern und schließlich zu einer diplomatischen Beilegung des Konflikts zu gelangen«. »Das ist kein pazifistischer Maximalismus«, sagte der hohe Geistliche. »Es ist gesunder Menschenverstand«.

Gleichzeitig wird kritisiert, daß zwei italienische Reporter noch immer in der Ukraine festgenommen sind und Giorgia Meloni und das Außenministerium tun so, als wäre nichts passiert. Wir hoffen, daß »in der Ukraine schnellstmöglich eine Lösung gefunden wird, um ihnen, unseren Landsleuten, sichere und praktikable Bedingungen für die Ausübung ihrer Arbeit garantieren zu können«, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von Carlo Bartoli, Präsident des Nationalrats des Journalistenordens, Alessandra Costante, Sekretärin des Nationalen Verbands der italienischen Presse, und Vittorio Di Trapani, dem neuen Präsidenten des Nationalen Verbandes der italienischen Presse (Fnsi).

Giorgia Meloni bewege sich auf »einem holprigen Weg« schrieb das linke »Manifesto« zu den Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Ukraine, und mit Blick auf die EU-Wahlen im kommenden Jahr werde es noch schwieriger, »die Ansprüche der Verbündeten in Schach zu halten«. Es kursieren bereits Spekulationen, Meloni könnte in Erwägung ziehen, Berlusconis FI aus der Koalition zu drängen und durch die Aufnahme des bisher in der Opposition stehenden Dritten Pols unter dem Leiter der Zentrumspartei Azione, Carlo Calenda zu ersetzen, der dazu längst seine Bereitschaft signalisiert hat.