Ausland23. August 2024

Vereint gegen Palästina

Ob Gantz oder Netanjahu, einen eigenen Staat für das palästinensische Volk darf es nach Willen israelischer Politiker nicht geben

von Manfred Ziegler

Wieder einmal wird verhaltener Optimismus verbreitet. Ein Vorschlag der USA solle die verbleibenden Differenzen zwischen Israel und der Hamas überbrücken. Die Mediatoren aus Ägypten, Katar und den USA bezeichnen die Verhandlungen um einen Waffenstillstand in Gaza als »ernsthaft, konstruktiv und positiv«. Sie stellten ihren Vorschlag dem Chef des Mossad, David Bernea, vor. Zuletzt allerdings sprach USA-Präsident Joseph Biden nur davon, eine Einigung sei »immer noch möglich«.

Nach wie vor betont die israelische Regierung, ihr Ziel sei die völlige Zerstörung der Hamas. Die Hamas verlangt noch immer ein andauerndes Ende des Krieges und einen völligen Abzug der israelischen Truppen aus Gaza. Als sollte es die israelische Interpretation eines Waffenstillstandes darstellen, bombardierte die israelische Luftwaffe nach dem Ende der Verhandlungsrunde erneut Zivilisten. 18 Tote aus einer Familie waren die Folge. Wwit über 40.000 Tote sind es bisher insgesamt.

Mit der nicht bindenden Erklärung der Knesset, einen palästinensischen Staat abzulehnen, ist Israels Richtung vorgegeben. Finanzminister Bezalel Smotrich beläßt es nicht bei einer Erklärung. Auf »X« erklärte er: »Wir werden den Kampf gegen das gefährliche Projekt eines palästinensischen Staates fortsetzen, indem wir Fakten vor Ort schaffen.« Das heißt: neue Siedlungen wie Nahal Heletz, die in einem palästinensischen Gebiet liegen und einen geschlossenen palästinensischen Staat verhindern sollen.

Die Kriegskosten
für Israel sind hoch

Tag für Tag setzt das israelische Militär den Kampf gegen einen Staat Palästina fort – in Gaza und auf der Westbank. Die zerstörte Infrastruktur in Gaza könnte womöglich wieder aufgebaut werden. Doch jetzt droht die Gefahr einer Polio-Epidemie. Mit Sicherheit wurden bereits Polio-Erreger nachgewiesen, ob es bereits Infektionsfälle gibt, ist nicht gewiss. Schätzungen schwanken zwischen null und bis zu 500 Fällen.

Solange sich Verhandlungen um einen Waffenstillstand hinziehen, kann Israel den Gazastreifen weiter zerstören. Aber die Kriegskosten für Israel sind hoch. Das schwache Militär eines Landes wie Jemen kann Nachschubtransporte per Schiff massiv behindern. Das Logistik-Unternehmen DP-World aus Dubai meldet einen Gewinneinbruch um 59 Prozent in der ersten Hälfte des Jahres wegen der Störung des Seeverkehrs im Roten Meer.

Das Ende der Wirtschaftstätigkeit im Norden Israels, die Absage vieler Flugverbindungen, die israelischen Provokationen gegenüber dem Iran und dem Libanon mit dem Ziel, mit der Drohung eines Angriffs aus dem Iran oder aus dem Libanon Propaganda zu machen, die Auswirkungen auf Gesundheitswesen, Militär und Gesellschaft, die Zahl der getöteten und verletzten Soldaten läßt viele Verantwortliche in Militär und Geheimdiensten für einen Deal eintreten. Sie stehen damit gegen Benjamin Netanjahu und seine Verbündeten, die nach wie vor vom »totalen Sieg« über die Hamas sprechen – und den Krieg gegen Palästina meinen.

Die rechtsextremen Minister Smotrich und Itamar Ben-Gvir drohen mit einem Bruch der Regierungskoalition, sollte es zu einem Deal kommen. Netanjahu beruhigt sie mit dem Hinweis, er wolle sich das Recht vorbehalten, nach einer möglichen ersten Phase eines Waffenstillstandes den Krieg fortzusetzen.

Oppositionspolitiker Benjamin Gantz droht Netanjahu mit einem Untersuchungsausschuß wegen seiner Verantwortung für »das größte Desaster in der Geschichte des Landes« – doch auch seine Partei lehnt einen palästinensischen Staat ab.

Zukunft verweigert

Weit mehr als 40.000 Tote zählte die Verwaltung in Gaza seit Beginn der israelischen Angriffe. »Die meisten von ihnen sind Frauen und Kinder«, betonte Volker Türk, der »Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte«. Er spricht von einer unvorstellbaren Situation. Das Ausmaß, in dem Israels Militär Wohnhäuser, Schulen Krankenhäuser, Moscheen und Kirchen zerstört, sei zutiefst schockierend.

Und hier geht es nur um die Toten, die unmittelbar als Folge von Angriffen starben. Womöglich Zehntausende weitere sind Opfer der Zerstörung der Infrastruktur, so die medizinische Fachzeitschrift »Lancet«.

Tausende Leichen sind vermutlich noch unter den Trümmern begraben und schon droht mit einer Polio-Epidemie eine neue Katastrophe. Israel bombardiert Gaza nicht nur in die Steinzeit zurück, wie es Benjamin Gantz 2014 als Generalstabschef begonnen hatte. Israel will Palästina die Zukunft nehmen.

Die Schulen zerstört, Kinder und Lehrer verletzt, traumatisiert oder gar getötet – Palästina soll keine Bildung und keine Perspektive haben. Mit den Drohungen Benjamin Netanjahus, auch im Falle eines Waffenstillstands nach wenigen Wochen die Angriffe fortzusetzen, wird selbst die Hoffnung auf einen Wiederaufbau mit internationaler Hilfe zunichte gemacht. Unter dem Deckmantel des Krieges in Gaza versuchen Siedler auf der Westbank immer aggressiver, Palästinenser zu vertreiben.

Die Verwaltung von Gaza sprach von 40.000 Toten, die meisten Frauen und Kinder. Zur gleichen Zeit brüstete sich das israelische Militär, es habe 17.000 Kämpfer getötet. Mit anderen Worten: Für Israels Armee gibt es keine Zivilisten unter den männlichen Einwohnern von Gaza.

Wo in Gaza der unbedingte Wille der Armee zur Zerstörung herrscht, werden auf der Westbank Siedlungen gezielt so geplant und errichtet, daß der Aufbau eines palästinensischen Staates nicht mehr möglich ist. Internationale Erklärungen, daß der Siedlungsbau illegal sei, werden Israel nicht zu einer Umkehr bewegen. Der rechtsradikale Minister Smotrich bringt auf der Plattform »X« nur auf den Punkt, was israelische Politik seit 57 Jahren ausmacht – gleichgültig welche Partei den Regierungschef stellte: »Keine antiisraelische oder antizionistische Entscheidung wird den Siedlungsbau stoppen.« Und Netanjahus Rede vom »zweiten Unabhängigkeitskrieg« nach dem 7. Oktober war der Aufruf zum Krieg gegen Palästina.