Armutsrisiko in Italien wächst
Verschleppungstaktik von Regierungschefin Meloni beim Thema Mindestlohn. Sieben Millionen Menschen leben unter der Armutsgrenze
Ein Treffen der Regierung der faschistischen Premierministerin Giorgia Melione mit Vertretern von Oppositionsparteien im Regierungssitz Palazzo Chigi, bei dem über die eklatante Verschlechterung der sozialen Lage der Menschen im Lande und die unsozialen Maßnahmen der Regierung gesprochen werden sollte, ist am Freitag nach zwei Stunden, wie zu erwarten war, ergebnislos verlaufen.
Die Regierungschefin verteidigte die vorgenommene Steuersenkung für die Banken, räumte zum Thema Mindestlohn ein, es gebe Unterschiede in den Ansichten, aber »wir sind offen für Diskussionen«. Sie habe »nicht grundsätzlich Nein« gesagt, zitierte die staatliche Nachrichtenagentur ANSA. Meloni erklärte, die Regierung und »die Sozialpartner« sollten sich 60 Tage Zeit nehmen, um zu einer Einigung zu kommen. Die Probleme sollten im Nationalen Wirtschafts- und Arbeitsrat – dem Consiglio Nazionale dell'Economia e del Lavoro (CNEL), einem in der Verfassung vorgesehenen Organ zur Beratung von Regierung Gewerkschaften – erörtert werden.
Die Vertreter der Opposition verteidigten ihre Forderung nach einem Mindestlohn von neun Euro. Elly Schlein, Sekretärin des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) schätzte ein, die Ministerpräsidentin habe dazu »keine klare Vorstellung«. Der frühere Premierminister Giuseppe Conte, Chef der Fünf-Sterne-Bewegung, sagte, der Ball liege »auf der Seite der Regierung«, während Carlo Calenda vom »Dritten Pol« erklärte, »niemand hat die Tür zugeschlagen«.
Das linke Magazin »Il Manifesto« kommentierte, die Opposition laufe in eine Falle, die Entscheidungen seien längst gefallen, und die Regierung gehe »Hand in Hand mit dem Kapital, wenn es darum geht, die Löhne und Rechte der Arbeiterklasse zu unterdrücken«. Davon zeugte, dass mit dem Entzug des Mindesteinkommens für weitere 169.000 Menschen ab 1. August deren Zahl auf insgesamt 350.000 anwächst, denen so laut »Manifesto« zwei Milliarden Euro entzogen werden, während die Regierung gleichzeitig mit der Senkung der Bankensteuer den obersten Schichten der Reichen ein Geschenk von »einigen Milliarden« macht.
In Italien müssen schon jetzt, wie das Nationalinstitut für Soziale Fürsorge (INPS) berichtete, sieben Millionen Menschen unter der Armutsgrenze leben, und dieses Armutsrisiko werde aufgrund der Inflation weiter wachsen, denn die meisten Erwerbstätigen sind über 55 Jahre, und in diesem Alter ist es unmöglich, einen Arbeitsplatz zu finden. Die Generalsekretärin der Gewerkschaft CGIL von Neapel und Kampanien, Nicola Ricci, verweist darauf, dass nicht nur Millionen Rentner, Arbeitslose und sozial Schwache, sondern auch die, die eine Arbeit haben, unter den auf sie bereits abgewälzten Krisenlasten ächzen und spricht von »einer sozialen Bombe«.
Wenn Regierungschefin Meloni sich mit Vertretern der Opposition traf und sich – ohne eine Zusage – verbal bereiterklärte, ein Ergebnis solle in den Haushalt 2024 aufgenommen werden, gleichzeitig aber die Bankensteuer senkt, wolle sie demonstrieren, sowohl auf »die Familien« als auch auf »den freien Markt« zu achten, und folge damit dem Vorbild der erzkonservativen britischen Premierministerin Margaret Thatcher, kommentiert »Il Manifesto«.
Die von Meloni gesetzte Frist von 60 Tagen zielt darauf ab, eine mögliche Einigung, sollte sie überhaupt möglich sein, dann in den Haushalt für 2024 aufzunehmen, dessen Annahme sich erfahrungsgemäß immer in das neue Jahr hineinzieht. Vertreter der Opposition sehen darin eine klare Verschleppungstaktik.
Während des Treffens wurde bei einer von Oppositionsparteien organisierten Sammlung von Unterschriften für einen Mindestlohn von neun Euro die Zahl von 100.000 Unterschriften weit überschritten. Ein deutliches Signal an Premierministerin Meloni, denn damit wird der Weg geöffnet für ein Referendum.
Vor allem die Gewerkschaften, an ihrer Spitze die Unione Sindacale di Base (USB) machen geltend, dass die Löhne in Italien rund zwölf Prozent unter dem EU-Durchschnitt liegen. Das bedeutet, dass Lohnabhängige in Italien jährlich rund 3.700 Euro weniger als der Durchschnitt gegenüber Kollegen aus anderen EU-Staaten erhalten.