Ausdruck andauernden Krieges
Nach Israels Angriffen auf Dschenin wächst die Wut auf der Westbank. Auch innenpolitisch bleibt die Lage angespannt
In Israel gingen die Proteste gegen die »Justizreform« in die 28. Woche. Zu weiteren Protesten und Straßenblockaden führte der Rücktritt des Polizeichefs von Tel Aviv, Ami Eshed. Er wollte damit ein Zeichen setzen gegen die Einflußnahme von Kabinettsmitgliedern, die von ihm ein übermäßig gewaltsames Vorgehen gegen Demonstranten forderten.
Der rechtsextreme Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir scheint damit ein Prinzip in die Innenpolitik einführen zu wollen, das Israel in den besetzten Gebieten praktiziert und das die linke Knesset-Fraktion von Chadasch-Ta’al so beschreibt: »Was mit Gewalt nicht gelöst werden kann, soll mit mehr Gewalt gelöst werden.«
Über Ben-Gvir und seine Parteifreunde hinaus wurde bis weit in die Opposition vor dem Angriff auf Dschenin eine neue, breit angelegte Militäroperation gefordert, um »Abschreckung und Sicherheit« in der Region wieder herzustellen. Nur die Chadasch-Ta’al-Fraktion protestierte in der Knesset gegen den israelischen Angriff. Tote und Verletzte auf beiden Seiten, zerstörte Waffenlager und Werkstätten sowie Verhaftungen waren das Ergebnis der zweitägigen Kämpfe. »Abschreckung und Sicherheit« – gewiß nicht.
Während der Freitagsgebete in der Al-Aksa-Moschee wurden Poster und Transparente der Hamas und des »Dschenin-Bataillons« aufgehängt. Sie wurden später von der Polizei entfernt. Auf der Westbank gibt es immer wieder bewaffnete Auseinandersetzungen – wie zuvor.
Ein signifikantes Ergebnis brachte der Angriff allerdings: Das Ansehen der Autonomiebehörde und ihres Präsidenten ist auf der Westbank weiter gesunken. Meinungsumfragen eines Instituts aus Ramallah zeigen, daß 80 Prozent der Palästinenser auf der Westbank seinen Rücktritt wünschen, mehr als 70 Prozent unterstützen die Bildung von bewaffneten Gruppen – ähnlich der Organisation »Lion’s Den« in Nablus und dem »Dschenin-Bataillon«. Die zunehmende Verärgerung über die Autonomiebehörde zeigte sich nach den Kämpfen bei der Bestattung der Toten. Mehrere hohe Vertreter der Behörde wurden von der Beerdigung vertrieben.
Mahmud Abbas und die ägyptische Regierung haben mittlerweile alle auf der Westbank aktiven Organisationen, darunter auch den »Islamischen Dschihad in Palästina«, zu einem Gipfeltreffen nach Kairo eingeladen, um – wie es der Sprecher von Abbas ausdrückte – die Einheit gegen die israelische Aggression herzustellen.
Der Großteil der Gegner der israelischen Justizreform unterstützte den Angriff auf Dschenin. Gegen die Justizreform und zugleich gegen die Besatzungspolitik zu protestieren – das ist das Kennzeichen der Fraktion von Chadasch-Ta’al in der Knesset, die auch Vertreter der Kommunistischen Partei Israels umfaßt.
Mittlerweile hat die Knesset den Gesetzentwurf eines rechtsextremen Abgeordneten angenommen, wonach die verbale Unterstützung von »Terroristen« mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden kann. Dennoch erinnerte ein Vertreter von Chadasch-Ta’al daran, daß jede Aktion zu einer Reaktion führt: »Es gibt eine Reaktion auf die Besetzung der Westbank – und das ist der Widerstand.« Er wurde unter Tumult vom Podium vertrieben.
Die rechte Regierung hat mittlerweile illegale Siedlungen zugelassen, ein Protestmarsch von israelischen Friedensaktivisten und Palästinensern wurde von der Armee blockiert.
Es ist die Realität eines andauernden Kriegszustands.