Ausland21. September 2024

Es kann jeden treffen

Der israelische Geheimdienst handelt nach dem Motto »Erhebe Dich und töte zuerst«

von Karin Leukefeld

Der Generalsekretär der libanesischen Hisbollah, Hassan Nasrallah hat am Donnerstagnachmittag Israel für eine Explosionswelle von Tausenden Personenrufempfängern, sogenannten »Pagern« am Dienstag sowie am Mittwoch von Hunderten »Walki-Talkis« und anderen Funkgeräten verantwortlich gemacht. Nasrallah sprach von einem »Massaker«, das »der israelische Feind« an Tausenden Menschen verübt habe. »Der Feind« habe einen zivilen Gegenstand, der von weiten Teilen der Gesellschaft täglich benutzt wird, eingesetzt, um tausende Menschen zu töten, so Nasrallah.

Mehr als 4.000 »Pager« und mehr als 1.000 Funkgeräte seien an zwei aufeinander folgenden Tagen zur gleichzeitigen Explosion gebracht worden mit der Absicht, mehr als 5.000 Menschen in wenigen Minuten zu töten. »Die Güte Allahs und das Zusammenstehen der ehrenhaften Bevölkerung« hätten Schlimmeres verhindert, sagte Narallah.

Personenrufempfänger, sogenannte »Pager« werden in Kliniken, Fabriken, Firmen, von Rettungsdiensten, in Hotels und auch an Flughäfen eingesetzt, um schnell Informationen übermitteln zu können. Ein Arzt in der Klinik trägt ein solches Gerät, auch Stationsschwestern, Koordinatoren in großen Fabriken oder Unternehmen. Da die Geräte in der Hand, in Jacken- und Hosentaschen, also nah am Körper getragen werden, wurden die Menschen mit schwersten Verletzungen im Gesicht, den Augen, an den Händen, Fingern und im Bauchbereich in Kliniken eingeliefert. Eine Ärztin am Krankenhaus Berg Libanon sagte, sie habe noch nie solche Verletzungen gesehen.

Die Zahl der Toten von beiden Tagen wurde vom libanesischen Gesundheitsministerium am Freitagvormittag mit 37 angegeben, darunter sind zwei Kinder. Die Hisbollah meldete den Tod von 20 ihrer Mitglieder durch die beiden Explosionswellen. Mehr als 3.000 Personen wurden zum Teil lebensgefährlich verletzt. Der Iran, der Irak und Syrien boten medizinische Hilfe an, Patienten mit schweren Augenverletzungen wurden bereits nach Damaskus transportiert.

Zweifellos habe man im Bereich der Sicherheit und auf der menschlichen Ebene einen schweren, beispiellosen Schlag erlitten, sagte Nasralleh. Am Dienstagabend habe man offizielle und inoffizielle Botschaften aus Israel erhalten, wonach Ziel der Angriffe sei, daß die Hisbollah ihre Unterstützung für Gaza einstellen solle. Aber »im Namen der Märtyrer und der Verletzten, im Namen derjenigen, die ihre Augen und Hände verloren haben und im Namen aller, die ihre religiöse und moralische Verantwortung schultern und Gaza unterstützen, das dem Hungertod gegenübersteht«, erklärte Nasrallah, daß die Hisbollah im Libanon nicht aufhören werde, Gaza zu unterstützen und ihm beizustehen.

Was für Gaza gelte, gelte auch für das Westjordanland und das unterdrückte Volk »in diesem Heiligen Land«. Und er betonte weiterhin: »Wir sagen (Kriegsminister) Gallant und (Premierminister) Netanjahu, daß die libanesische Front nicht zur Ruhe kommen wird, bis die Aggression gegen Gaza stoppt.«

Im Übrigen untersuche die Hisbollah, wie die mit Sprengstoff manipulierten Geräte den Libanon erreichen und dort verteilt werden konnten. Die Organisation hatte die Geräte bei der taiwanesischen Firma Gold Apollo bestellt und war davon ausgegangen, daß die Geräte in Asien produziert würden. Gold Apollo aber gab den Auftrag an ein Subunternehmen in Ungarn weiter. Das wiederum stellte sich als Briefkastenfirma heraus.

Die »New York Times« präsentierte als erste Zeitung eine Geschichte, die scheinbar alles erklären sollte. Demnach soll der Mossad eine komplette Produktionskette aufgebaut und eine Firma als Subunternehmen von Gold Apollo gegründet haben, wo der Mossad selber den kompletten Auftrag abgewickelt haben soll.

Die USA-Regierung erklärte sofort, sie habe nichts gewußt und sei von Israel über den Angriff auch nicht informiert worden. Um die zur Schau gestellte Unschuld zu unterstreichen, traf sich USA-Außenminister Antony Blinken in Paris im Aßenministerium der französischen Regierung, im Quay d’Orsay, mit Außenministern von EU-Staaten und rief alle Seiten zur »Deeskalation« auf.

Der französische Präsident Emmanuel Macron wandte sich – scheinbar in Erinnerung an »gute alte Zeiten« (1920-1946), als Frankreich Mandatsmacht in Syrien und im Libanon war – »an das libanesische Volk« und rief die politische Führung in Beirut auf, »einen Krieg zu verhindern«. Matthew Miller, Sprecher des USA-Außenministeriums erklärte vor Journalisten in Washington, die beste Lösung sei eine diplomatische Lösung, die erreicht werden könne, wenn es einen Waffenstillstand in Gaza gebe. Am Freitagnachmittag sollte sich in New York der UNO-Sicherheitsrat mit den Angriffen im Libanon befassen.

Jenseits aller offiziellen Erklärungen agieren Geheimdienste bekanntlich außerhalb des Scheinwerferlichts. Die USA und Israel sind enge Verbündete, deren Auslandsgeheimdienste CIA und Mossad sind seit »Kindertagen« zwei Seiten einer Medaille. Kaum etwas geschieht, was der eine vom anderen nicht weiß.

Der Mossad kooperiert nicht nur mit der CIA – wie aktuell bei den Verhandlungen für einen Waffenstillstand im Gazastreifen – er hält auch enge Kontakte mit den Geheimdiensten in Frankreich, Britannien und Deutschland. Mossad-Agenten können mit Ausweispapieren und Pässen dieser Staaten in Ländern agieren, in die israelische Staatsbürger nicht einreisen dürfen. Bekannt wurde das 2010, als ein Mossad-Kommando den Hamas-Funktionär Mahmud al Mabhouh in einem Hotelzimmer in Dubai ermordete. Zwölf der 26 Mossad-Agenten waren damals mit Pässen Britanniens, Frankreichs, Deutschlands und Irlands in die Vereinigten Arabischen Emirate eingereist. Drei Agenten hatten australische Pässe.

»Erhebe Dich und töte zuerst«, ist ein Motto des Mossad, wie der israelische Autor und Journalist Ronen Bergman in seinem Buch über den Mossad schreibt. Der Geheimdienstexperte leistete seinen Wehrdienst beim Militärischen Geheimdienst ab. In dem Buch »Rise and kill first« (deutsch: »Der Schattenkrieg«) beschreibt Bergman, daß Mossad-Agenten seit Bestehen des Staates Israel mindestens 2.700 Personen gezielt ermordet haben.

Der Spruch ist dem Talmud entnommen, wo es heißt: »Wenn jemand kommt, um dich zu töten, erhebe dich und töte zuerst.« Bei den Mordaktionen wurde vergiftete Zahnpasta eingesetzt, es gab bewaffnete Drohnen, explodierende Mobiltelefone, Ersatzreifen mit einer fern zu zündenden Bombe – Wissenschaftler im Iran wurden auf diese Weise oder durch andere manipulierte Autounfälle getötet. Britische Politiker wurden ebenso ermordet wie Vertreter von Hamas, Hisbollah und der PLO, schreibt Bergman. Zu den Agenten, die vor der israelischen Staatsgründung in Vorläuferorganisationen des Mossad waren, zählten hochrangige israelische Politiker wie Menachem Begin, Yitzak Shamir, Ehud Barak und Ariel Sharon.

Auch Staaten blieben von verdeckten Mossad-Aktionen nicht verschont. Die Nachbarländer Ägypten, Syrien, Libanon, Jordanien, Iran gehören zu den fast schon regelmäßigen Schlachtfeldern der »Schattenkrieger«, doch auch Deutschland, die Türkei und die Schweiz waren schon betroffen.

Die massenhaften Detonationen von Alltagsgegenständen wie Mobiltelefonen, Walki-Talkies oder Pagern sollte allen zu denken geben, die Geschäfte mit Israel machen oder gar entsprechende Manipulationstechnik wie Künstliche Intelligenz im Rüstungsbereich in Auftrag geben oder selber entwickeln. Es kann jeden treffen.