Leitartikel17. September 2024

Das Wasser bis zum Hals

von Uli Brockmeyer

In mehreren Ländern Zentraleuropas steigen die Wasserstände. Rettungsdienste sind überlastet, tausende Menschen waren schon am Wochenende ohne Strom, die Versorgung steht vielerorts am Rande des Zusammenbruchs. Brücken brechen ein und ganze Ortschaften stehen unter Wasser, dabei ist der Höhepunkt der Fluten noch nicht einmal erreicht.

Niemand trägt eine unmittelbare Schuld an den Wassermassen, die über große Teile Deutschlands, Polens, Tschechiens, der Slowakei, Ungarns und Rumäniens einbrechen. Aber es fällt auf, daß zum Beispiel in Rumänien, einem Land, das ähnlich wie Griechenland, Spanien oder Portugal im Zuge der allgemeinen Krise viele Streichungen an öffentlichen Ausgaben über sich ergehen lassen mußte, die Schäden und auch die Verluste an Menschenleben höher sind als anderswo. Selbst im angeblich so wohlhabenden Deutschland offenbart sich angesichts der Fluten die durch und durch marode Infrastruktur. In einem TV-Bericht war erst in der vergangenen Woche, nach dem Einsturz der Carolabrücke in Dresden, die Rede von mindestens 16.000 Brücken im ganzen Land, die dringend sanierungsbedürftig seien. Nicht betroffen sind wohl lediglich große Überführungen an den Trassen in Richtung Osten, denn die werden, auch mit EU- und NATO-Geldern, für eine militärische Nutzung instand gehalten.

In Zeiten der Krise sei eben nicht genügend Geld vorhanden, um Schäden auszubessern. Und die Kommunen, so hieß es im staatlichen deutschen Fernsehen, hielten sich zurück bei Ausgaben zum Beispiel für Brücken, denn dort sind die seit Jahrzehnten wachsenden Schäden nicht so offen zu erkennen wie vielleicht Schlaglöcher in den Hauptstraßen. Das Hochwasser an dem Flüßchen Ahr vom Juli 2021, bei dem mindestens 135 Menschen ums Leben kamen, spricht Bände. Die reiche Bundesrepublik Deutschland ist mit ihren klammen Finanzen bisher nicht in der Lage, die gröbsten Zerstörungen im Ahrtal in den Griff zu bekommen. Die Milliarden und Abermilliarden für den Krieg in der Ukraine gegen Rußland und für die beispiellose Aufrüstung der Bundeswehr sind halt viel wichtiger.

Es ist nicht genügend Geld da. Das betrifft noch stärker die Länder im Südosten der EU, wie eben Rumänien. Am Montag wurde gemeldet, daß die Regierung der USA den Verkauf von 32 hochmodernen Kampfjets vom Typ F-35 an den NATO-Partner Rumänien genehmigt hat. Mit dem Erwerb der Tarnkappen-Mehrzweckkampfflugzeuge des Herstellers Lockheed Martin erlange Rumänien »beispiellose Luftabwehr-Kapazitäten«, erklärte die USA-Botschafterin in Bukarest. Das Geschäft hat ein Gesamtvolumen von 6,5 Milliarden Euro. Man muß halt Prioritäten setzen…

Doch offensichtlich steht nicht nur den Menschen in den Überschwemmungsgebieten das Wasser bis zum Hals. Auch die Krieger in der Ukraine geraten immer mehr in Bedrängnis, nachdem alle bisherigen Versuche, den kollektiven Westen zur Freigabe seiner Waffensysteme für Angriffe tief im russischen Hinterland immer wieder abgeblockt werden. Allerdings ist derselbe kollektive Westen weiterhin nicht bereit, sich ernsthaft und ohne Tricks für Gespräche zur Herbeiführung eines Friedens einzusetzen, bei denen tatsächlich die Sicherheitsinteressen aller beteiligten Seiten beachtet werden.

Dabei wäre selbst das aktuelle Hochwasser, das zumindest auch auf den Klimawandel zurückzuführen ist, ein Anlaß zum Nachdenken. Immerhin ist Krieg der größte Klimakiller.