Leitartikel27. Juni 2024

Schuldenbremse oder Investitionen?

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Im März forderte ein EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Brüssel, daß der Zugang der Rüstungsindustrie EU-Europas zu öffentlichen und privaten Finanzmitteln verbessert werde. Die Europäische Investitionsbank (EIB) solle ihre Regeln für die Kreditvergabe an Rüstungsunternehmen »überarbeiten«. Bis Juni sollten zudem »alle Optionen zur Mobilisierung von Finanzmitteln« für den Rüstungssektor geprüft werden.

Dahinter steckt ein weiter anhaltender Streit um die Einführung gemeinsamer Anleihen der EU-Staaten im Rüstungsbereich. Diese werden insbesondere von Frankreich gefordert, von Deutschland und den Niederlanden aber abgelehnt.

Ende vergangener Woche haben die Minister der Länder mit der Einheitswährung und des EU-Rats für Wirtschaft und Finanzen auf einem Treffen in Luxemburg den neuen »Strategiefahrplan« für die EIB beschlossen. Dieser beinhaltet neben der Förderung von strategischen Technologien wie Computerchips und Künstlicher Intelligenz sowie von Nachhaltigkeit und Energiewende erstmals auch die »Unterstützung für die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie« als offiziellen Schwerpunkt.

Öffentlich kaum wahrgenommen, hat sich die auf dem hauptstädtischen Kirchberg ansässige EIB seit ihrer Gründung 1958 mit einem gezeichneten Kapital von rund 250 Milliarden Euro zur größten länderübergreifenden Förderbank der Welt entwickelt. In sechseinhalb Jahrzehnten gewährte die EIB mehr als 160 Ländern Finanzierungen von zusammen rund anderthalb Billionen Euro.

Vor zwei Jahren wurde dann eine »Strategische Europäische Sicherheitsinitiative« lanciert, damit die EIB »Forschung, Entwicklung und Innovation« im Bereich zwischen ziviler und militärischer Nutzung (»Dual-Use«) mit zunächst acht Milliarden Euro unterstützen kann.

Seither fordert insbesondere die deutsche Regierung eine Änderung der EIB-Satzung. Bislang untersagte diese unmittelbare Investitionen in die Rüstungsindustrie und die militärische Infrastruktur. Die Satzungsänderung, die ein Gesetzgebungsverfahren auf EU-Ebene benötigt, ist sehr umstritten – unter Kriegsgegnern, aber auch unter Ökonomen. Selbst im Ministerrat wurde über Monate darum gerungen, doch nun hat er die Satzungsänderung offiziell eingeleitet.

Gleichzeitig hat die EU-Kommission vergangene Woche den Streit zwischen binnenmarktorientierten Mitgliedstaaten wie Frankreich und Italien, die dringend mehr Spielräume für öffentliche Investitionen brauchen, und exportorientierten Hardlinern wie Deutschland, denen der Druck für immer neue Kürzungsprogramme kaum groß genug ausfallen kann, entschieden und gegen Frankreich, Italien, Belgien und vier weitere Mitgliedstaaten sogenannte Defizitverfahren wegen einer angeblich zu hohen Neuverschuldung eröffnet.

Abgesehen davon, daß die EU-»Schuldenregeln« ihres sogenannten Stabilitäts- und Wachstumspakts in der Corona- und zuletzt auch in der weitgehend selbstverschuldeten Energiekrise ausgesetzt waren: Wäre es nicht an der Zeit, daß die EU-europäische Förderbank ihrem Namen gerecht wird und in jenen Mitgliedstaaten einspringt, in denen die öffentlichen Budgetmittel vorerst erschöpft sind?