An Italiens Schulen fehlen 30.000 Lehrer
Zehntausende Hochschulabsolventen finden keinen Arbeitsplatz
Während nach einem Bericht der EU-Statistikbehörde Eurostat Zehntausende italienische Hochschulabsolventen zwischen 20 und 34 Jahren keinen Arbeitsplatz finden, fehlen an den Schulen des Landes 30.000 Lehrer – eine Situation, die auch für das Gesundheitswesen mit etwa ebenso vielen fehlenden Ärzten zutrifft. Bereits während der Coronoa-Pandmie halfen in einigen Regionen Italiens kubanische Mediziner aus, und auch jetzt ist eine große Brigade Mediziner aus Kuba in Italien tätig. Für das Bildungssystem dürfte das jedoch keine Lösung sein.
Laut Manuela Calza, der Sekretärin der Federazione Lavoratori della Conoscenza (FLC), der Bildungsgewerkschaft der CGIL, konnten von über 81.000 offenen Stellen nur 51.000 unter Vertrag genommen werden, weil die Regierung im Haushalt nicht die erforderlichen Mittel zur Verfügung stellt. Allein in Mailand nennt die Gewerkschafterin 6.361 nicht besetzte Lehrerstellen, und das Problem erstrecke sich bis auf die Ebene der Schulleiter. Es gebe 153 Schulen ohne Schulleiter.
In Parma zum Beispiel fehlen 50 Hilfslehrer, die ihre Arbeitslätze verlassen haben, weil sie von einem Gehalt von 1.200 Euro ihre Lebenshaltungskosten nicht mehr bestreiten können, nachdem allein die Miete für eine Wohnung 800 Euro beträgt, berichtete »Parma Today« am 19. August. Für ein solches Gehalt finde man unmöglich Lehrer für eine Festanstellung. Ähnlich sieht es nach einer Umfrage der Lehrergewerkschaft der CISL in der gesamten Region Emilia Romagna aus, wo 13.900 Lehrer benötigt werden, 900 mehr als im letzten Jahr, erklärt Monica Barbolini, Regionalsekretärin der Cisl Scuola gegenüber der Regionalzeitung »la Repubblica Bologna«.
Laut »today.it« sind die vom Lehrermangel am stärksten betroffenen Fächer Italienisch, Geschichte und Geographie. Aber das ist noch nicht alles: Gesucht werden 800 Mathematik- und Physiklehrer, fast 800 Ingenieure und Informatiker für den Unterricht in Elektronik, Informatik und Mechanik, an den Gymnasien fehlen über tausend Laborlehrer.
Selbst im gewöhnlich sozial besser gestellten Südtirol fehlen zum diesjährigen Schuljahresbeginn mehr denn je Lehrerinnen und Lehrer. Laut dem Onlineportal »Südtirol News« sind noch 900 Stellen offen. Es sei »erschreckend, daß immer mehr Lehrer aussteigen wollen«, weil der Lehrermangel zu steigender Belastung der im Beruf tätigen Lehrer führe und der Lehrerberuf aus finanzieller Sicht unattraktiv geworden ist.
Durch die Corona-Pandemie wurde die Lage weiter verschärft. Die Lehrer erhielten keine Schutzausrüstung und fühlten sich »nicht sicher«, berichtet Lucia Donat Cattin von der Schul- Gewerkschaft der Unione sindacale di Base (USB Pubblico Impiego - Scuola), zumal viele Lehrer bereits alt und bei schwacher Gesundheit sind.
Wiederholt enthüllten Schülerstreiks, so im Februar 2022, die Misere an den Bildungseinrichtungen, wie überbelegte Klassenzimmer, in denen noch nicht einmal jedem Schüler ein Platz an den Bänken gesichert wird, und daß die Schüler während der Berufspraktika bereits in das so genannte »Pathways for Transversal Skills and Orientation« – ein Pflichtprogramm, das den Wechsel von der Schule zum Beruf unterstützen soll – in das Ausbeutungssystem des Kapitals einbezogen werden und immer wieder auch junge Menschen dem Unfalltod am Arbeitsplatz zum Opfer fallen, wie vor einigen Tagen ein 16-jähriger und ein 18-jähriger Gymnasiast.
In Mailand forderten Gymnasiasten auf der Piazza Cairoli die Abschaffung dieses Systems des Wechsels zwischen Schule und Arbeit, »der nur ein Wechsel zur Ausbeutung« sei. »Wir wollen ein anderes Schulmodell, mit Sicherheit am Arbeitsplatz«, forderten sie.
Besorgniserregend ist auch die Zunahme faschistischer Umtriebe an Schulen unter der Meloni-Regierung. Im Februar dieses Jahres griffen in Florenz Schlägertrupps der »Azione Studentesca«, einer mit der faschistischen Partei Giorgia Melonis »Brüder Italiens« (FdI) verbundenen Bewegung, Schüler des Michelangelo-Gymnasiums an. Videos zeigten, wie ein auf dem Boden liegender Junge minutenlang brutal getreten wurde. In einem Flugblatt hatte die Schlägertruppe zu dem Überfall aufgerufen.
Vertreter des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) warnten vor der Rückkehr des in den 70/80er Jahren von den Faschisten des Movimento Sociale Italiano (MSI) betriebenen Terrors an den Schulen und Universitäten. Aus der 1995 in Alleanza Nazionale umgewandelten Partei MSI war 2014 die von Meloni gegründete Partei »Brüder Italiens« (FdI) hervorgegangen.