Ausland05. Juli 2024

Putschversuch in Bolivien endgültig vereitelt

Hochrangige Militärs verhaftet; Morales beschuldigt Arce

von Theo Mai

Absurd, dilettantisch, bizarr: Diese Adjektive waren in der vergangenen Woche in Berichten westlicher Medien am häufigsten über den Putschversuch in Bolivien zu lesen. Und bis Redaktionsschluß dieser Ausgabe scheinen die Hintergründe der Ereignisse nicht völlig geklärt.

Doch zunächst die Fakten: Am Nachmittag des 26. Juni meldete Boliviens Präsident Luis Arce »irreguläre Bewegungen bolivianischer Militäreinheiten«, eine halbe Stunde später hatten Panzer und Soldaten – angeführt vom obersten General Juan José Zúñiga sowie den beiden Kommandeuren der Luftwaffe und Marine – die Plaza Murillo vor dem Regierungssitz in La Plaz besetzt. Präsident Arce reagierte mit einer Fernsehansprache, einem Aufruf zur Verteidigung der Demokratie und zur Mobilisierung des Volkes, unterstützt vom früheren Präsidenten Evo Morales, der zusätzlich zum unbefristeten Streik aufrief.

Währenddessen forderte der Putschist Zúñiga neben der »Herstellung der Demokratie« auch die »Freilassung aller politischen Gefangenen«, inklusive der rechten Ex-Präsidentin Jeanine Áñez, die sich 2019 an die Macht geputscht hatte. Seine Absicht sei es gewesen, »die bolivianische Demokratie neu zu strukturieren«.

Mit einem Panzer verschaffte sich Zúñiga Zugang zum Regierungspalast, wo es zur direkten Konfrontation mit Arce kam, dessen sofortiger Rücktritt gefordert wurde. Gleichzeitig strömten zehntausende Bolivianer zum Plaza Murillo, um sich gegen den Putschversuch zur Wehr zu setzen. Keine drei Stunden später schließlich ernannte Arce per Fernsehübertragung einen neuen Generalstabschef sowie eine neue Führung der Luftwaffe und Marine. Nach deren Vereidigung befahlen diese den sofortigen Rückzug aller Soldaten, die dem folgten und nach insgesamt vier Stunden Putschversuch in ihre Quartiere zurückkehrten.

Präsident Arce dankte daraufhin dem bolivianischen Volk, das es möglich gemacht habe, diesen Putschversuch zurückzuschlagen. Im Laufe der Woche wurden Zúñiga, die ehemaligen Kommandeure und mindestens fünfzehn weitere Militärs festgenommen; die Anklagen reichen von bewaffnetem Aufstand, Angriff auf den Präsidenten und Zerstörung von öffentlichem und privatem Eigentum bis hin zu versuchtem Mord. Arce erklärte, die Lage habe sich wieder normalisiert und sei unter Kontrolle gebracht, die neuen Kommandeure hätten ihre Arbeit regulär aufgenommen. Gewußt habe weder er noch seine Regierung von den Planungen und Bewegungen, die sich seit Monaten angebahnt hätten, da sie von Zúñiga und seinen Kommandeuren direkt getäuscht worden waren.

Zúñiga behauptete, Arce selbst habe diesen Putsch inszeniert, um an Popularität zu gewinnen, was der Präsident vehement bestreitet, da er das bolivianische Volk niemals in Gefahr bringen würde. Vielmehr, so Arce, stehe der Putschversuch wieder einmal in Zusammenhang mit den bolivianischen Lithium-Reserven, auf die vor allem die imperialistischen Großmächte ein Auge geworfen haben.

Das Interesse am bolivianischen Lithium war schon bei den Putschversuchen in den 1970ern und 1980ern wie auch beim Putsch der rechten, USA-treuen Opposition um die Putschistin Jeanine Áñez 2019 Motivation gewesen. So werden gerade langfristige Verträge zur Vergabe eines Lithiumprojektes verhandelt, über das vor allem die USA Kontrolle erlangen wollen. Zur Zeit investiert jedoch Rußland in dieses Projekt und erst Anfang Juni verhandelten Arce und Putin über Boliviens Beitritt zur BRICS-Gruppe.

Die imperialistischen Interessen an Bolivien und seinen Ressourcen sind eindeutig und mindestens in der Vergangenheit immer als Ursache für Umstürze und Putschversuche auszumachen gewesen – spätestens seitdem die von Evo Morales geführte Partei Movimiento al Socialismo (Bewegung zum Sozialismus, MAS) mit ihrem antiimperialistischen Kurs in Bolivien regiert und die Lithium-Vorkommen vor allem vor dem Zugriff der USA beschützt.

Aktuell jedoch befindet sich die MAS in einem tiefen innerparteilichen Streit zwischen den Flügeln des aktuellen Präsidenten Arce und Evo Morales. Morales hat angekündigt, wieder selbst als Präsident zu kandidieren, was seit 2020 immer wieder zu innenpolitischen Unruhen im Land führt. Am Tag des Putsches noch hatten beide zwar geschlossen agiert und zur gemeinsamen Verteidigung Boliviens aufgerufen, doch schon am Wochenende spitzte sich der Konflikt zu: So prangerte Evo Morales in einem Interview an, Arce habe die Welt getäuscht und belogen und diesen Putsch selbst inszeniert, um sein Image vor den 2025 anstehenden Wahlen aufzubessern. Arce reagierte auf die Anschuldigungen und warf Morales vor, den Putschversuch für seine persönlichen politischen Ambitionen zu mißbrauchen. Er bekräftigte, Zúñiga und seine Verbündeten hätten »im Interesse ausländischer Akteure« gehandelt. Der Putschversuch vom 26. Juni ist damit zwar erfolgreich vereitelt, die Lage in Bolivien aber alles andere als stabil.