Vom Schlachtfeld zum Verhandlungstisch
Gespräche über eine Verhandlungslösung für den Ukraine-Krieg. Der Westen ist vor USA-Wahlkampf um eine Reduzierung der Ausgaben für Kiew bemüht
An diesem Wochenende sollen im saudischen Jiddah die Gespräche über eine mögliche Verhandlungslösung für den Ukraine-Krieg fortgesetzt werden. Hintergrund sind Erwägungen im Westen, den Krieg nach dem Ende der aktuellen ukrainischen Militäroffensive zu stoppen und Gespräche über einen Waffenstillstand einzuleiten. Zum einen gibt es schon seit längerer Zeit ernste Befürchtungen in der Biden-Administration, die viele Dutzend Milliarden US-Dollar schwere Unterstützung aus den USA für Kiew könne sich im Präsidentschaftswahlkampf, zumal gegen einen etwaigen Kandidaten Donald Trump, als eine schwere Belastung erweisen.
Zum zweiten ist auch Washington selbst nicht bereit, der Ukraine auf Dauer stets neue Summen zur Verfügung zu stellen, erst recht nicht, wenn die damit finanzierte und ausgerüstete Offensive so wenig von der Stelle kommt wie zur Zeit. Schließlich ist aus Sicht der USA der zentrale Konflikt der Gegenwart der Machtkampf gegen China, von dem sich Washington recht lange im Nahen und Mittleren Osten und in Osteuropa ablenken lassen hat.
Nicht zuletzt ist unklar, wie lange Kiew seine Offensive aufrechterhalten kann; die Verluste der Ukraine nicht nur an Waffen, sondern vor allem an Menschen sind nach – freilich derzeit nicht überprüfbaren – Berichten immens.
»Grundlagen für Verhandlungen schaffen«
Darauf, daß Washington eine Beendigung der Kämpfe noch in diesem Jahr in Erwägung zieht, deuten auch Gespräche hin, die einflußreiche Außenpolitikexperten der USA im Frühjahr mit diversen regierungsnahen Personen Rußlands führten. Anfang April trafen mehrere von ihnen in New York sogar mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow zu einem mehrstündigen Austausch zusammen. Beteiligt waren zum Beispiel der unlängst aus dem Amt geschiedene Präsident des Council on Foreign Relations (CFR) Richard Haass sowie die ehemaligen Regierungsmitarbeiter Charles Kupchan und Thomas Graham. Haas hat die Gespräche inzwischen bestätigt.
Berichten zufolge ging es zunächst darum, Kommunikationskanäle nach Rußland wieder zu öffnen und etwaige Spielräume für künftige Verhandlungen und Kompromisse auszuloten. Im Hintergrund hätten Bemühungen gestanden, »die Grundlagen für Verhandlungen zur Beendigung des Krieges in der Ukraine« zu schaffen, heißt es explizit in einem Bericht von NBD News am 6. Juli.
Der Nationale Sicherheitsrat der USA sei über die Gespräche und über ihren Inhalt umfassend informiert. Auf der Tagesordnung hätten »einige der heikelsten Themen im Ukraine-Krieg« gestanden, darunter »das Schicksal der von Rußland gehaltenen Gebiete, die die Ukraine womöglich nie befreien können wird«.
Eine der schwierigsten Aufgaben
Kurz nach ihrem Treffen mit Lawrow veröffentlichten Haass und Kupchan einen Beitrag in »Foreign Affairs«, der einflußreichsten Zeitschrift der USA-Außenpolitik, in dem sie einen »Plan zum Übergang vom Schlachtfeld zum Verhandlungstisch« zu entwickeln suchten. Demnach sei nach dem Ende der damals erwarteten, jetzt in Gang befindlichen Kiewer Gegenoffensive mit »einer Pattsituation« zu rechnen, in der beide Seiten ihre Waffen ein Stück zurückziehen und »faktisch eine entmilitarisierte Zone schaffen« müßten, hieß es bereits am 13. April 2023 in »Foreign Affairs«.
Dann solle »eine neutrale Organisation«, etwa die UNO oder die OSZE, »Beobachter entsenden, um den Waffenstillstand und den Rückzug der Truppen zu überwachen und durchzusetzen«. Halte der Waffenstillstand, dann könnten schließlich sogar Friedensverhandlungen folgen.
Wie Haas und Kupchan urteilen, könne es sich als eine der schwierigsten Aufgaben erweisen, Kiew zur Einhaltung des Waffenstillstands und zu Verhandlungen zu bewegen. »Viele Ukrainer würden das als Verrat ansehen«, heißt es in dem Artikel; Präsident Selenski werde seine Kriegsziele – er hat einen Sieg versprochen – »dramatisch herunterschrauben müssen«. Halte er an ihnen fest, dann drohe die Ukraine – mit Blick auf die Kriegstoten und die immensen Zerstörungen – »sich selbst zu zerstören für Ziele, die wohl außer Reichweite sind«.
Einstieg in den Ausstieg
Mittlerweile haben erste Gespräche in größerem Rahmen stattgefunden, die offenkundig darauf abzielten, Kiew einen Weg zum Einstieg in den Ausstieg aus seinen Kriegszielen zu bahnen. Am 24. Juni kamen in Kopenhagen Vertreter der Ukraine, einiger westlicher Staaten und von fünf Staaten des Globalen Südens zusammen, die bereits Ermittlungserfolge zwischen Moskau und Kiew erzielt haben (Türkei, Saudi-Arabien) oder die sich noch darum bemühen (Brasilien, Indien, Südafrika).
Der Leiter des Kiewer Präsidialamtes, Andrij Jermak, preschte mit einem Entwurf für eine Abschlußerklärung zu dem Treffen vor, die Kernelemente der sogenannten »Friedensformel« von Präsident Selenski enthielt; diese sieht vor allem den kompletten Rückzug der russischen Streitkräfte von ukrainischem Territorium vor und bezieht dies auch auf die Krim.
Jermaks Entwurf wurde in Kopenhagen von den Vertretern des Globalen Südens kühl zurückgewiesen. Diskutiert wurde über Sicherheitsgarantien – einerseits solche für die Ukraine, über die Kiew diese Woche mit Washington verhandeln will, andererseits auch über Garantien für Rußland. So könne man Moskau etwa zusagen, »daß keine Marschflugkörper auf dem Gebiet der Ukraine stationiert werden«, hieß es.
Der Rahmen der Gespräche
Die in Kopenhagen gestarteten Gespräche sollen nun am kommenden Wochenende im saudischen Jiddah weitergeführt werden. Zusätzlich zu den Teilnehmern des Kopenhagener Treffens sind weitere Staaten des Globalen Südens sind eingeladen worden, darunter Mexiko, Indonesien, Chile, Ägypten und Sambia. Die beiden letzteren gehören – wie Südafrika – auch der afrikanischen Staatengruppe an, die Mitte Juni Vermittlungsgespräche in Kiew und in Moskau führte und sich Ende vergangener Woche im Anschluß an den Rußland-Afrika-Gipfel von Präsident Wladimir Putin dessen Bereitschaft zu Gesprächen über die Beendigung des Ukraine-Krieges zusagen ließ.
Der Kiewer Präsidialamtsleiter Jermak hat angekündigt, erneut Selenskis »Friedensformel« als Verhandlungsgrundlage zu präsentieren. Wie das »Wall Street Journal« schreibt, halten westliche Regierungsstellen es für »klar«, daß Gespräche nur dann Erfolg haben können, wenn sie nicht vorab einen russischen Abzug fordern, sondern »um eine Reihe weithin geteilter internationaler Grundsätze gestaltet« werden, so etwa die Charta der Organisation der Vereinten Nationen.
Genau dies ist der Ansatz, den sämtliche bislang vorliegenden Vermittlungsversuche von Staaten des Globalen Südens verfolgen – von Chinas Zwölf-Punkte-Papier über den Vorstoß des brasilianischen Präsidenten Luis Inácio Lula da Silva bis zum Plan der afrikanischen Staatengruppe. Freilich müßte die Ukraine nun dazu gebracht werden, sich darauf einzulassen. Darauf zielt offenbar das Treffen am Wochenende in Jiddah ab.