Wessen Straße ist die Straße?
Mit Verweis auf gewalttätige Ausschreitungen bei Demonstrationen gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie wollte es der hauptstädtische Schöffenrat aus DP und CSV der Plattform JIF im vergangenen Jahr nicht erlauben, am Internationalen Frauentag im Zentrum der Hauptstadt zu demonstrieren. Stattdessen sollte der Frauenmarsch auf einen vom DP/CSV-Schöffenrat ausgewiesenen »Protestperimeter« ausweichen.
Dank zahlreicher Solidaritätsbekundungen konnte dieser von der JIF zurecht als Angriff auf das von der Verfassung geschützte Grundrecht auf Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit zurückgewiesene Vorstoß des Hauptstadtschöffenrats abgewehrt werden, der dritte Frauenstreik in Luxemburg konnte wie geplant stattfinden.
Doch am Montag dann ein neuer Vorstoß vom Knuedler: Mit den Stimmen der Mehrheitsparteien schrieb der hauptstädtische Gemeinderat ein generelles Bettlerverbot an allen Wochentagen zwischen 7 Uhr morgens und 22 Uhr abends in das städtische Polizeireglement. Neben der schnieken Oberstadt, wo sich Geschäfteinhaber bei der Bürgermeisterin über bettelnde Menschen auf der Straße vor ihren Läden beschwert haben, gilt das Verbot, um Almosen bzw. Spenden zur Deckung des eigenen Lebensbedarfs zu bitten, auch in den »Problemvierteln« um den Bahnhof und im angrenzenden Stadtteil Bonneweg.
Zwar behaupten DP und CSV, sie wollten das sogenannte stille Betteln – also Menschen, die mit einem Becher am Straßenrand sitzen und darauf hoffen, daß der eine oder andere Passant ein paar Münzen hineinwirft – nicht verbieten, sondern das organisierte Betteln, doch findet sich ein solches Verbot schon seit acht Jahren im hauptstädtischen Polizeireglement. Gehen Bettelnde aktiv auf Passanten zu, sprechen sie an und bedrängen sie vielleicht sogar, kann das als Belästigung oder gar Nötigung ausgelegt werden und ist ein Fall für die Polizei. Täuscht der Bettelnde falsche Tatsachen vor, erfüllt das den Tatbestand des Betrugs.
Eher dürfte es den Mehrheitsparteien am Knuedler darum gehen, auch noch die Spitze des Eisbergs der vom Kapitalismus verursachten Verwerfungen im »reichen Luxemburg« zu verstecken und gleichzeitig im Wahlkampf dem sich den objektiven Fakten verschließenden »subjektiven Sicherheitsempfinden« einiger Geschäfteinhaber nachzugeben.
Symbolpolitik also. Weder soll Menschen geholfen werden, den kriminellen Banden zu entkommen, die sie immer wieder zum Betteln nach Luxemburg schicken, noch wird die Kriminalpolizei endlich beauftragt, den sich am Elend anderer Menschen noch bereichernden Hintermännern dieser organisierten Bettlerbanden das Handwerk zu legen.
Neben ein bißchen Wahlwerbung für DP und CSV wird das noch nicht von der sich ebenfalls im Wahlkampf befindlichen LSAP-Innenministerin abgenickte Bettlerverbot nur dazu führen, daß die Ärmsten der Armen kriminalisiert und so noch weiter ins gesellschaftliche Abseits gedrängt werden.
Doch sollten öffentliche Straßen und Gehwege, die vor allem mit den Steuergeldern der Schaffenden und Rentner gebaut und unterhalten werden, neben dem (Geschäfts-)Verkehr nicht auch so etwas wie einen demokratisch verfaßten öffentlichen Raum gewährleisten, in dem politische Meinungsäußerungen ebenso wie die Bitten unserer Mitmenschen ihren legitimen Platz haben?