Leitartikel07. September 2023

»Werden Sie mich erschießen?«

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»Are you going to shoot me?« (Werden Sie mich erschießen?), fragte die 21-jährige Afroamerikanerin Ta’Kiya Young die beiden weißen Polizisten, die sie auf dem Parkplatz eines Supermarktes mit einer Waffe bedrohten. Wenige Sekunden später wird der Mutter zweier kleiner Söhne, die im November eine Tochter erwartete, durch die Windschutzscheibe ihres Autos ins Gesicht geschossen. Ta’Kiya Young stirbt kurz darauf in einem nahegelegenen Krankenhaus, ihr ungeborenes Kind überlebt ebenfalls nicht.

Der von den Bodycams der beiden Polizisten von Anfang bis Ende aufgezeichnete tödliche Polizeieinsatz ereignete sich am 24. August im Bundesstaat Ohio im Mittleren Westen der USA, in Blendon Township, einem Vorort von Ohios Hauptstadt Columbus.

Doch warum mußten Ta’Kiya Young und ihre ungeborene Tochter sterben? War die junge Frau etwa eine gefährliche Massenmörderin, die schleunigst aus dem Verkehr gezogen werden sollte, damit sie nicht noch mehr Unheil anrichten kann?

Nein, man hatte sie lediglich eines einfachen Ladendiebstahls bezichtigt und ihr außerdem vorgehalten, auf dem Parkplatz eines Supermarkts unberechtigterweise auf einem für Handicapierte reservierten Platz zu parken.

Kurzum, hätten die beiden weißen Polizisten die Afroamerikanerin davonfahren lassen, statt ihr ins Gesicht zu schießen, wäre nicht mehr passiert als ein einfacher Diebstahl, für den Ta’Kiya Young wohl nie zur Rechenschaft gezogen worden wäre.

Doch wenn es um die Durchsetzung kapitalistischer Eigentumsverhältnisse geht, kennen die Schergen der Herrschenden kein Pardon.

Ganz anders war es, als der um die »weiße Vorherrschaft« in den USA kämpfende Faschist Dylann Storm Roof, der am 17. Juni 2015 in Columbia, South Carolina neun Afroamerikaner in einer Kirche in Charleston erschossen hat, verhaftet werden sollte. Weil er nach dem Massaker über Hunger klagte, reichten ihm die eingesetzten Polizisten einen Hamburger, bevor sie ihn ohne Gewaltanwendung abführten.

Nur zwei Tage nachdem Ta’Kiya Young in Ohio erschossen wurde, kam es in Jacksonville, Florida zu einem rassistischen Attentat, als ein weißer Faschist zwei Afroamerikaner und eine Afroamerikanerin vor und in einem Supermarkt erschoß. Danach tötete er sich selbst. Auf seinem Laptop fand die Polizei ein mehr als 20 Seiten langes Manifest, in dem er seinen Haß auf schwarze Menschen dargelegt habe, so der Sheriff von Jacksonville. Bevor er den Anschlag verübte, soll er Weiße aufgefordert haben, sich in Sicherheit zu bringen.

Einen weiteren Tag später beging die Nationale Vereinigung für die Förderung farbiger Menschen (NAACP), eine der ältesten Organisationen der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA, den »Ax Handle Saturday«, an dem am 27. August 1960 mehr als 200 mit Äxten und Baseballschlägern bewaffnete Ku-Klux-Klan-Mitglieder einen Sitzstreik schwarzer Bürgerrechtsaktivisten gegen die sogenannte Rassentrennung angegriffen hatten.

Bei der Wahl des Datums des rassistischen Attentats in Jacksonville dürfte auch der 60. Jahrestag des Marsches auf Washington am 28. August 1963 eine Rolle gespielt haben. Damals versammelten sich mehr als 200.000 Menschen vor dem Lincoln Memorial und forderten die Beendigung der systematischen rassistischen Diskriminierung in den USA. Dabei hielt Martin Luther King seine Rede »I Have a Dream«. Der Traum des Bürgerrechtlers ist bis heute nicht erfüllt. Der Kampf geht weiter!