Ausland14. August 2024

Vor 80 Jahren

Eines der barbarischsten Verbrechen Hitlerdeutschlands

Italien gedachte der Opfer des SS-Massakers in Sant'Anna di Stazzema

von Gerhard Feldbauer

Am 12. August gedachte das antifaschistische Italien der Opfer des unter dem Besatzungsregime Hitlerdeutschlands in Sant'Anna di Stazzema in der Toskana begangenen Massakers. Am diesem Tag wurden vor 80 Jahren in der Ortschaft von der Aufklärungsabteilung der 16. Panzergrenadier-Division »Reichsführer SS« unter dem Kommando von Obersturmbannführer Walter Reder 560 Einwohner auf bestialische Weise ermordet.

Die Eliteeinheit der SS rottete mit Hilfe örtlicher Mussolini-Faschisten fast die gesamte Bevölkerung des kleinen Dorfes aus und schlachtete vor allem Frauen, Alte und Kinder ab. Enio Mancini, der als sechsjähriges Kind das Morden überlebte, hat in seinem Buch »Das Massaker von Sant'Anna di Stazzema« (Hamburg 2014) niederschrieben, was geschah: »Schwangeren Frauen wurde der Leib aufgeschlitzt, Kleinkinder in die Luft geworfen und auf sie wie auf Tontauben geschossen, andere mit Bajonetten durchbohrt«, schilderte Mancini und führte weiter an, daß unter den Todesopfern 120 Kinder unter 16 Jahren und acht schwangere Frauen waren. Das jüngste Opfer zählte drei Monate, das älteste 86 Jahre.

Die SS-Leute durchkämmten die Gehöfte und brannten die Gebäude nieder. 150 Einwohner wurden auf dem Kirchplatz zusammengetrieben und mit zwei Maschinengewehren und Handgranaten regelrecht hingeschlachtet. Die Mörder schichteten die Leichen übereinander, übergossen sie mit Benzin, zündeten sie an und verstümmelten sie so bis zur Unkenntlichkeit. Nur 350 Opfer konnten später identifiziert werden. Während des Überfalls befand sich kein einziger Widerstandskämpfer in dem Ort.

Die Mörder von Sant'Anna wurden, wie in den meisten Fällen, in der Bundesrepublik Deutschland nie zur Verantwortung gezogen. Obersturmbannführer Reder konnte in Italien gefaßt werden und wurde 1951 zu einer lebenslänglichen Haftstrafe für die unter seinem Kommando in Marzabotto in der Toskana im September 1944 ermordeten über 1.800 Einwohner verurteilt. Für das Verbrechen in Sant'Anna wurde er mangels Beweisen freigesprochen. 1985 wurde er begnadigt. Als schließlich 2005 in Italien zehn der Verbrecher von Sant'Anna zu lebenslanger Haft verurteilt wurden, verweigerte die Bundesrepublik Deutschland die Auslieferung der Verurteilten.

Die Hamburger Rechtsanwältin Gabriele Heinecke, die jahrelang im Namen der Hinterbliebenen der Opfer versuchte, die SS-Henker von Stazzema vor Gericht zu bringen, stieß auf schockierenden Widerstand der bundesdeutschen Justiz. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart stellte 2012 ihre Ermittlungen gegen acht Beschuldigte von Stazzema ein. 2013 wies das Oberlandgericht Karlsruhe einen Klageerzwingungsantrag als »unzulässig« zurück.

Zu diesem an Grausamkeit kaum zu überbietenden Völkermordverbrechen gehört die Haltung des früheren Pfarrers und späteren Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland (2012-2017), Joachim Gauck, der im März 2013 Sant'Anna besuchte. Während er »Versöhnung« heuchelte, aber kein Wort der Entschuldigung geschweige denn einer Verurteilung fiel, stellte er sich gleichzeitig schützend vor die SS-Mörder mit der Erklärung »im Falle des Massakers von Sant‘Anna reichten die Instrumente des Rechtsstaates nicht aus, um Gerechtigkeit zu schaffen.« Welche Chuzpe leistete sich dieser Pastor Gauck, der jahrelang keine Skrupel hatte und sie bis heute nicht zeigt, Bürger der DDR, die sich nach Recht und Gesetz für ihren Staat, auch auf antifaschistischen Positionen einsetzten, mit allen Mitteln des »Rechtsstaates« zu verfolgen.

Darunter fielen unzählige Juristen der DDR, die wegen ihrer Urteile gegen solche Verbrecher nach 1989/90 vor Gericht gezerrt und verurteilt wurden. Zu ihnen gehörte Otto Fuchs, der in seiner Leipziger Wohnung im Januar 1992 verhaftet wurde. Seine Frau Martha, eine Jüdin, die KZ-Häftling gewesen war, erlitt einen schweren Nervenzusammenbruch. Die Leipziger Staatsanwaltschaft erhob gegen Otto Fuchs Anklage wegen »Rechtsbeugung und Mord«. Er war 1950 Vorsitzender Richter in den »Waldheim-Prozessen« gegen Kriegsverbrecher und Naziaktivisten. Man warf ihm vor, er habe »Unschuldige« zum Tode verurteilt.

Mit Hilfe seines Anwalts kam er für kurze Zeit aus der Untersuchungshaft frei. Um den Richtern nicht die hämische Genugtuung an »seiner langsamen und qualvollen prozessualen Hinrichtung« zu ermöglichen, beschlossen er und seine Frau, freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Im Abschiedsbrief hieß es: »Meine Frau würde eine Trennung von mir nicht überstehen. Ich versichere Ihnen, daß wir in meiner Strafkammer nur Kriegsverbrecher verurteilt haben und ich bin mir sicher, daß wir uns über kein Urteil schämen müssen. Alle Zeichen deuten aber darauf hin, alles ins Gegenteil zu verkehren und in einem Schauprozeß mich zum Verbrecher zu stempeln«. Am 13. Februar 1992 um 23.15 Uhr sprangen Otto und Martha Fuchs vom Balkon ihrer Wohnung aus dem siebten Stock in den Tod.

»Contropiano« erinnerte am Wochenende an die 15 Italiener, die am 10. August 1944 auf der Piazziale Loretta in Mailand von Mussolini-Faschisten hingerichtet und danach mit den Köpfen nach unten aufgehängt wurden. Es waren Partisanen, aber auch politische Gefangene aus dem Gefängnis San Vittore. Den Befehl dazu erteilte SS-Hauptsturmführer Theodor Saevecke, der später in der Bundesrepublik Deutschland ungeachtet seiner Verbrechen – darunter als Verantwortlicher für die Ermordung von mindestens 2.000 Juden und Widerstandskämpfern – zunächst für den Auslandsgeheimdienst der USA (CIA) arbeitete, dann im westdeutschen Bundeskriminalamt als Leiter der »Ermittlungsgruppe Bonn« Karriere machte. Saevecke wurde 1999 – in Abwesenheit – von einem Militärgericht in Turin wegen des Massakers vom 10. August 1944 sowie der Erschießung von acht weiteren unschuldigen Zivilisten zu lebenslanger Haft verurteilt. Seine Auslieferung nach Italien haben die deutschen Justizbehörden verweigert.