Leitartikel07. Mai 2024

Aus der Geschichte lernen

von Uli Brockmeyer

Inmitten schrecklicher Kriege in der Ukraine und in Gaza werben fast alle Parteien in diesem Wahlkampf um Sitze im EU-Parlament mit Slogans wie »Für Freiheit und Sicherheit in Europa«. Allerdings steht dahinter leider vor allem die Absicht, den »Europa« genannten Teil des Kontinents, die Europäische Union, aufzurüsten und immer mehr zu bewaffnen gegen einen anderen, ziemlich großen Teil Europas, nämlich Rußland. Tagtäglich ist wieder die Rede von der angeblichen Notwendigkeit, die »Ostflanke der NATO« immer mehr zu bewaffnen.

Gerade in diesen Tagen, in denen sich wieder einmal das Ende des Zweiten Weltkrieges jährt, die Befreiung Europas vom deutschen Faschismus und seinen Verbündeten drängt es sich auf, gewisse historische Parallelen zu sehen.

Als am 22. Juni 1941 die faschistische deutsche Wehrmacht unter Bruch des Nichtangriffsvertrages die Sowjetunion überfiel, war gerade in der Reichshauptstadt Berlin viel von »Europa« die Rede. Hitler verkündete in diesem Zusammenhang, sein Reich sei nunmehr »gezwungen«, die »Sicherung und Rettung Europas« zu übernehmen. Nachdem der »Größte Führer aller Zeiten« den Angriffsbefehl erteilt hatte, erklärte sein Propagandaminister Josef Goebbels in der Zeitung »Das Reich«: »Die Soldaten, die nach diesem Befehl marschieren, sind in Wahrheit die Erretter der europäischen Kultur und Zivilisation gegen die Bedrohung durch eine politische Unterwelt.«

In den ersten Tagen des Mai 1945 beendeten Soldaten der Roten Armee – das waren Russen, Weißrussen, Ukrainer, Kaukasier, Balten und Angehörige vieler weiterer Nationalitäten der Sowjetunion – diesen Krieg in Berlin. Zu Ehren des Ersten Mai hißten sie die rote Fahne auf dem Reichstag, kurz danach kapitulierte die Berliner Garnison der Wehrmacht und dann schließlich die gesamte faschistische Kriegsmaschinerie.

Es ist notwendig, daran zu erinnern, daß die Rote Armee unter übermenschlichen Opfern nicht deshalb nach Berlin marschierte, um die Stadt zu erobern, sondern um dem faschistischen Regime eine entscheidende Niederlage beizubringen. Sehr viele Deutsche empfanden das damals als »ihre« Niederlage, den meisten fiel es schwer, den Sieg der Alliierten als Befreiung zu erkennen, und viele haben sich von diesem Schock auch Generationen danach nicht erholt.

Es ist dieser Geist, der auch heute dazu führt, daß die entscheidenden Politiker des Westens ein neues Bollwerk errichten wollen und dafür die Legende von der »Gefahr aus dem Osten« neu aufleben zu lassen – koste es, was es wolle – und sei es die Gefahr eines Atomkrieges.

Wer jedoch die richtigen Lehren aus der Geschichte zu ziehen bereit ist, sollte erkennen, daß weder ein neuer großer Krieg, noch die Vorbereitungen dafür, unserem Kontinent Sicherheit bringen können. Sicherheit ist nur möglich, wenn niemand den Nachbarn dämonisiert und bedroht, sondern wenn man sich – statt immer neue Feindbilder aufzubauen – auf gemeinsame Maßnahmen zur Sicherheit ALLER einigen kann.

In diesem Sinne ehren wir an diesem 9. Mai 2024 das Andenken der Soldaten der Roten Armee, die den größten Beitrag zum Sieg über den Faschismus leisteten, ebenso wie die Angehörigen der mit ihr alliierten Truppen der USA, Britanniens und Frankreichs sowie der Kämpfer der Résistance in den besetzten Ländern.