Luxemburg28. Juni 2024

Des einen Armut ist des anderen Einnahmequelle

von KP

Armut generell und Obdachlosigkeit im Besonderen gehören zu unserem Alltag und es hat auch heute noch den Anschein, als ginge es uns als Akteure dieser Gesellschaft nichts an. Dies wohl auch, weil viele der Ansicht sein dürften, dass diese »Vagabunden« es sich doch so ausgesucht haben, und es ja ausreichend Vereine und Organisationen hat, die sich »kümmern«.

Luc Frieden (CSV) hat in seiner Rede zur Lage der Nation darauf verwiesen, dass es »jetzt« besser werden wird und unter seiner Fuchtel die Armut bis in den letzten Winkel bekämpft werde.

Klingt interessant, wären da nicht einige Details, die verstören. So dass seitens der hauptstädtischen Bürgermeisterin Lydie Polfer (DP) ausgerufene und von Innenminister Leon Gloden bekräftigte Bettelverbot, das nicht so ganz mit der neuen Verfassung konform gehen will, dennoch polizeilich verfolgt wird.

Und ja, die Hauptstadt hat als Ballungsgebiet eine größere Verbreitung der Armut und auch die Wohnungsnot ist größer, teils bedingt durch fehlende Sozialwohnungen, aber auch mangels bezahlbaren Wohnraums, so dass die Straße schnell zum Obdach wird. Auch die sogenannten »Squats«, eine besondere Form der Hausbesetzung, können meist nur temporär durch die Behörden verhindert, respektive aufgelöst werden.

Ein ähnliches Bild bietet die Minettemetropole, wo ein Sozialarbeiter das Amt des Bürgermeisters bekleidet, aber ein Wirtschaftsberater das Mandat des Sozialschöffen innehat. Dass sich Christian Weis (CSV) nicht in die Befugnisse von Bruno Ca­valeiro (CSV) einmischt, beweist hier eindrucksvoll, dass das politische Mandat keine Kompetenzen voraussetzt. Das alles sorgt dafür, dass sich die Lage ständig verschlimmert.

Zensus oder billige Statistik?

Erinnern wir kurz daran, dass es laut der Erklärung der Stadt Esch/Alzette eine Studie geben soll, die man aber keinesfalls Journalisten zugängig machen kann. Nun hat aber eine Kollegin aus einer anderen Tageszeitung recherchiert und ist im Dokumentenwirrwarr des Familienministeriums auf ein interessantes Dossier gestoßen.

Es ist dies eine Analyse des dritten Zensus von Menschen ohne Wohnung in Luxemburg. Erstellt wurde das 52 Seiten lange Dokument am 14. Dezember 2023 von »Inter-Actions«. Grundlage für die Analyse sind Erhebungen mittels Fragebogen bei Betroffenen in Luxemburg-Stadt, Esch/Alzet­te und der »Wanteraktioun«. Es geht hier nicht darum, die Zahlen dieser Analyse als falsch hinzustellen, wohl aber um die Deutung eben dieser Daten, die bestenfalls als Momentaufnahme zu bewerten sind. Dies insbesondere darauf bezogen, dass Inter-Actions nur einer der Akteure in diesem Tollhaus des Sozialwesens ist.

Interessant dann noch, und das betrifft eben nicht nur Inter-Actions, dass die verschiedenen Akteure, ob Sozialamt oder gemeinnütziger Verein ohne Gewinnzweck, Obdachlose als »Kunden« identifizieren. Das vermittelt den Eindruck, dass diese Menschen, die ja eher Bittsteller sind, in erster Linie eine Einnahmequelle sind. Wobei nicht nur Inter-Actions, wenn auch über den Umweg von Konventionen, über sehr stabile Finanzen verfügt. So können am Ende auch einigermaßen hohe Gehälter gezahlt werden, was nicht unbedingt mit der zu Tage gelegten Motivation konform geht.

Bezogen auf die im Zensus vom Dezember erhobenen Zahlen, hatte es in der Hauptstadt 195 und in Esch/­Alzette 39 Obdachlose gegeben.

Auch wir hatten uns bei der »Wanteraktioun« umgeschaut, um uns angesichts der Versprechen der Herren Weis und Cavaleiro ein eigenes Bild der Lage in Esch/­Alzette bemüht.

Keine repräsentativen Zahlen

Wir haben zwischen Ende Dezember und Mitte März mit 157 Menschen Kontakt gehabt, die angaben, keine Wohnung zu haben. 68 führten an, zumindest regelmäßig auf ein Squat zurückgreifen zu können. Etwa zwei Dutzend gaben an, in Zelten zu übernachten. Allerdings halten auch wir unsere eigenen Zahlen nicht für repräsentativ, was dem Fakt geschuldet ist, dass sich diese Menschen aus guten Gründen nicht ständig am gleichen Ort aufhalten.

Hinzu kommt, dass nicht alle die eigentlich vorhandenen Möglichkeiten nutzen. Viele gaben an, dass sie beispielsweise auf dem Sozialamt eher unerwünscht sind und man ohnehin, mangels Adresse, nicht zuständig sei. Dies mag auch einer sehr kuriosen Auslegung des Begriffs »Urgence Sociale« geschuldet sein.

Wenn sich nun aber all diese Behörden und Vereine eins sind, dass Wohnen eigentlich zu den Grundrechten gehört, und eine Mahlzeit am Tag wohl nicht reicht, um den Hunger zu stillen, stellt sich die Frage des »Warum?«. Die Betroffenen haben natürlich darauf keine Antwort. Die im Sozialwesen Arbeitenden werden gehalten, so die wenigen Aussagen, sich Medien gegenüber möglichst bedeckt zu halten.

Und so hat sich ergeben, dass die Analyse zum Zensus der Obdachlosen erst im Juni »gefunden« wurde. Offenbar sind für 2024 noch zwei weitere Erhebungen vorgesehen. Die eine recht zeitnah, die andere wohl wieder gegen Jahresende. Es heißt auch, dass man seitens Inter-Actions hofft, dass weitere Gemeinden Bedarf anmelden, um »noch genauere« Daten vorlegen zu können.

Wer aber möchte die Misere in seiner Gemeinde dokumentiert sehen?