Tödliche Privatisierung
»Streik in Griechenland weitet sich aus« – so titelte das Internetportal der großbürgerlichen »Frankfurter Allgemeinen Zeitung für Deutschland« gestern in der Mittagsstunde. Neben Eisenbahnern hätten diesmal auch Seeleute und Lehrkräfte die Arbeit niedergelegt, um sich einer Großdemonstration vor dem Parlament in Athen anzuschließen.
»Die griechischen Gewerkschaften hatten zu landesweiten Streiks aufgerufen«, so die FAZ weiter, denn: »Nach dem bisher schwersten Zugunglück in der Geschichte Griechenlands protestieren immer mehr Beschäftigte aus anderen Bereichen gemeinsam mit Eisenbahnern für mehr Sicherheit im Schienenverkehr. (…) Am Sonntag hatten bereits mehr als 10.000 Menschen den maroden Zustand des griechischen Bahnnetzes angeprangert.«
Offenbar merken immer mehr Griechinnen und Griechen, daß der bedauernswerte Zustand ihrer gesamten Infrastruktur und großer Teile ihres Sozialsystems seine Ursache in der rücksichtslosen Privatisierungs- und Austeritätspolitik hat, die die berüchtigte Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds dem Land seit dem Herbst 2009 aufgezwungen hatte.
Wobei das Beispiel der ehemals staatlichen griechischen Eisenbahngesellschaft Hellenic Train darüber hinaus beweist, daß es bei der umfassenden Privatisierung von griechischem Staatseigentum nicht nur darum ging, Hellas‘ Gläubiger zu bedienen, sondern auch, die menschenverachtende Ideologie des Neoliberalismus zur Anwendung zu bringen:
Unter dem konservativen Premier Antonis Samaras wurde die Griechische Eisenbahnorganisation (OSE) im September 2017 an die ebenfalls teilprivatisierte italienische Ferrovie dello Stato Italiane als damals einzigem Bieter verscherbelt – für geradezu lächerliche 45 Millionen Euro. Seitdem wurde das OSE-Personal zur Maximierung des Profits immer weiter abgebaut, während Investitionen in moderne Zugtechnik und Sicherheitssysteme völlig unzureichend blieben.
Vor der Katastrophe am Mittwoch vergangener Woche hatten die griechischen Gewerkschaften immer wieder vor gravierenden Sicherheitsmängeln im privatisierten öffentlichen Transport und insbesondere bei der Eisenbahn gewarnt. Doch die Warnungen wurden allesamt in den Wind geschlagen. In der Nacht des Unfalls, der 57 vornehmlich junge Menschen das Leben kostete, funktionierte noch nicht einmal das angeblich automatische Weichensystem.
Der zur Zeit des Unglücks zuständige, bisher als einziger von der Justiz angeklagte Vorsteher des Bahnhofs von Larisa hatte zum Zeitpunkt der Kollision eines Intercity mit einem entgegenkommenden Güterzug vier Tage Dauerdienst hinter sich und war erst ein paar Monate zuvor in einem Crashkurs auf seine verantwortungsvolle Arbeit vorbereitet worden. Nicht er gehört auf die Anklagebank, sondern die neoliberalen Privatisierer und ihre Auftraggeber in Brüssel, Frankfurt und Washington sowie in den Zentralen jener Konzerne, die sich am ehemaligen griechischen Staatseigentum bereichert haben.
»Es ist nicht die Zeit zu schweigen, sondern die Stimme zu erheben und zu kämpfen«, erklärte die griechische Lehrergewerkschaft zum gestrigen Aktionstag. Auch die Gewerkschaft der im öffentlichen Dienst Beschäftigten und die Kommunistische Partei hatten zu einem 24-stündigen Ausstand aufgerufen. Der Anfang ist also gemacht. Wichtig ist nun, daß der Kampf bis zur vollständigen Wiederverstaatlichung der griechischen Eisenbahn weitergeführt wird.