Abzug aus dem Sahel
Frankreich und Deutschland stehen vor dem Ende ihrer Militärpräsenz und ihres Einflusses im zentralen Sahel
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat am Sonntag angekündigt, die etwa 1.500 in Niger stationierten französischen Soldaten würden bis Ende des Jahres nach Frankreich heimkehren. Der Ankündigung waren nach einem Ultimatum der Junta in Niamey kontinuierliche Proteste der nigrischen Bevölkerung gegen die französische Militärpräsenz vorausgegangen. Damit verlieren die Mächte Westeuropas innerhalb weniger Jahre ihre gesamte Militärpräsenz und ihren einst starken politischen Einfluß im zentralen Sahel; dieser erhält die Chance auf eine eigenständigere Entwicklung.
Im freien Fall
Im zentralen Sahel verfestigt sich ein weitreichender Machtverlust der Staaten Westeuropas, die noch vor wenigen Jahren den maßgeblichen Einfluß auf die Regierungen Malis, Burkina Fasos und Nigers geltend machen konnten. Militärisch dominierte Frankreich mit größeren Einsätzen in allen drei Staaten. Deutschland beteiligte sich stark am sogenannten EU-Ausbildungseinsatz in Mali wie auch an der dortigen UNO-Truppe MINUSMA; es richtete darüber hinaus einen Lufttransportstützpunkt in Niger ein und bildete dort Spezialkräfte aus.
Zudem suchten die vor allem Frankreich und Deutschland die Streitkräfte Malis, Burkina Fasos sowie Nigers gemeinsam mit denjenigen Tschads und Mauretaniens im Rahmen eines eigenen Formats (»G5 Sahel«) für ihre Zwecke einzuspannen.
Seit vergangenem Jahr befindet sich all dies im freien Fall. Mali hat zuerst Frankreichs Streitkräfte aus dem Land geworfen, dann die MINUSMA zum Abzug aufgefordert. Während die MINUSMA noch dabei ist, das Land zu verlassen, haben die EU-Truppen dies bereits getan. Auch Burkina Faso hat den Abzug der französischen Truppen von seinem Territorium durchgesetzt. Noch offen war bis zum Sonntag, wie es in Niger weitergehen sollte; dort sind neben rund 1.500 französischen auch rund 100 deutsche Militärs stationiert.
»Präsenz überprüfen«
Die nigrische Militärführung hatte schon am 3. August Nigers Vereinbarungen zur Militärkooperation mit Frankreich aufgekündigt und die französischen Streitkräfte zum Abzug aufgefordert. Seit dem Ablauf der Frist am 3. September fanden regelmäßig Protestkundgebungen unweit der zentralen französischen Militärbasis am nigrischen Hauptstadtflughafen statt. Dennoch weigerte sich Paris wochenlang, der Abzugsforderung aus Niamey Folge zu leisten: Präsident Emmanuel Macron versteifte sich darauf, Nigers gestürzter Präsident Mohamed Bazoum sei ungesetzlich aus dem Amt entfernt worden; deshalb sei auch die Aufkündigung der Stationierungsverträge zwischen Niamey und Paris rechtlich unwirksam.
Am Sonntag schwenkte Macron dann allerdings um und kündigte den vollständigen Abzug der französischen Truppen noch vor Jahresende an. Dies wird voraussichtlich Auswirkungen auf die deutsche Bundeswehr in Niger haben. Bereits in der vergangenen Woche hatte Kriesminister Boris Pistorius geäußert: »Wenn es keinen Grund mehr gibt zu bleiben und die Gefahr für unsere Truppe zu hoch ist, dann müssen wir unsere Präsenz natürlich überprüfen.« Falls Frankreich seine Einheiten abziehe, dann stelle sich »auch für uns die Frage eines Abzuges umso mehr«. Dies ist nun der Fall.
Die »Alliance des États du Sahel« (AES)
Parallel zum Abzug der westeuropäischen Truppen haben die drei Staaten des zentralen Sahel begonnen, eine eigene Sicherheitsstruktur zu entwickeln. So haben Mali, Burkina Faso und Niger am 16. September ein neues Verteidigungsbündnis gegründet, das den Namen »Alliance des États du Sahel« (AES) trägt. Es sieht explizit vor, daß im Fall eines Angriffs auf einen der Mitgliedstaaten alle drei gemeinsam die Angreifer militärisch zurückzuschlagen suchen.
Aktuell gilt dies insbesondere der Drohung der westafrikanischen Regionalorganisation ECOWAS, nach Niger einzumarschieren, sollte die Junta in Niamey sich nicht zum Rücktritt bereiterklären. Einen solchen Einmarsch hatte vor allem Frankreich unterstützt, um den eng mit ihm kollaborierenden gestürzten Präsidenten Bazoum erneut an die politische Macht zu bringen.
Abgesehen von der Abwehr äußerer Bedrohungen ist die AES auch zur Abwehr innerer Gewalt insbesondere durch jihadistischen Terror gedacht; ihr Gründungsdokument trägt den Namen »Charte du Liptako-Gourma« – benannt nach der Grenzregion zwischen Mali, Burkina Faso und Niger, die zuletzt in besonderem Maß unter jihadistischen Angriffen litt. Burkina Faso hat bereits hundert Soldaten in Nigers Region Tillia entsandt.
Russische Militärausbilder
Noch unklar ist, wie sich das Verhältnis der AES zu außerafrikanischen Mächten jenseits Westeuropas entwickeln wird. Malis Regierung unterhält derzeit enge Militärbeziehungen zu Rußland, hat russische Militärs und Mitarbeiter privater russischer Militärfirmen ins Land geholt und kauft russische Waffen. Burkina Faso erwirbt gleichfalls russische Rüstungsgüter, sucht bisher aber den Kampf gegen den jihadistischen Terror eigenständig, möglichst ohne unmittelbare auswärtige Unterstützung zu führen.
Ob dies gelingt, ist ungewiß. Ende August hielt sich eine russische Delegation unter Leitung des Moskauer Vizeverteidigungsministers Junus-Bek Jewkurow in Ouagadougou auf, um Optionen zur Zusammenarbeit zu diskutieren. Dabei war auch die Ausbildung burkinischer Militärpiloten in Rußland im Gespräch. Details über die Ergebnisse sind allerdings bislang nicht bekannt.
US-amerikanische Drohnen
In Niger wiederum suchen sich die Vereinigten Staaten festzusetzen. Zum einen haben sie mittlerweile diejenigen ihrer Soldaten, die in Niamey unmittelbar neben den französischen Truppen stationiert waren, auf ihre Drohnenbasis in Agadez im Norden des Landes verlegt; Frankreichs bevorstehender Truppenabzug tangiert sie also nicht. Zum anderen haben sie ihre Drohnenflüge in Agadez, die nach dem Putsch in Niamey vom 26. Juli zunächst ausgesetzt worden waren, in gewissem Umfang wieder aufgenommen, und sie wollen sie ausweiten.
Gelingt es den USA, ihre Militärpräsenz in Agadez zu festigen, dann könnten sie nicht nur militärisch in Niger präsent bleiben; sie hätten zudem Frankreich einmal mehr machtpolitisch abgehängt – ähnlich wie bereits 2021 in Australien mit dem AUKUS-Pakt. Ob es tatsächlich dazu kommt, ist freilich ungewiß.