Ausland28. Dezember 2023

Christus unter Trümmern

Ein trauriges Weihnachtsfest 2023. Kirchen in Bethlehem üben scharfe Kritik an westlichem Schweigen

von Karin Leukefeld, Damaskus

Die diesjährigen Weihnachtsfeiern der Christen in Libanon und Syrien sind geprägt von dem Krieg in Gaza. Öffentliche Feiern und Umzüge sind abgesagt. In den Kirchen wird für Frieden im Heiligen Land gebetet. Weihnachtsgrüße die über Mobiltelefone um die Welt geschickt werden, zeigen Maria und Joseph mit dem Christuskind inmitten von Trümmern.

Am Wallfahrtsort der Maria in Magdouche, hoch über der libanesischen Hafenstadt Saida, ist die kleine Höhlenkapelle weihnachtlich geschmückt. Eine kleine Krippe ist aufgebaut, die Felsenwände sind mit Sternen und Engeln geschmückt. Doch weihnachtliche Stimmung will nicht aufkommen, sagt Lana, eine junge Frau, die für die Kapelle sorgt und Besucher begrüßt. »Sie wissen, wir haben im Süden einen Krieg und auch christliche Dörfer werden bombardiert. Vor wenigen Tagen trafen israelische Raketen ein Haus in einem unserer Nachbardörfer, die Menschen haben Angst und wir erwarten nur wenige Besucher zum Weihnachtsfest.« Weil auch die Straßen unsicher seien und Autos angegriffen werden, bleiben die Menschen lieber zu Hause in der Hoffnung, daß sie dort sicher seien. »Ein trauriges Weihnachtsfest ist das in diesem Jahr. Möge Gott uns helfen.«

In Jerusalem und im besetzten Westjordanland ist das Leben der Menschen von Abriegelungen und täglichen Razzien der israelischen Besatzungstruppen bestimmt. in Bethlehem erinnern die Krippen an den Krieg in Gaza. Die evangelisch-lutherische Gemeinde hatte schon vor Weihnachten eine Krippe in Trümmern, mit wenigen Holzfiguren aufgebaut. Das Kind, das in den Trümmern liegt, ist in eine Kufiya, das weiß-oder rot-schwarze Palästinensertuch gewickelt. Auf dem Manger Platz in der Altstadt von Bethlehem ist eine große Krippe vor der Grabeskirche aufgebaut. Auch hier liegen Trümmer, die mit Stacheldraht umwickelt sind. Eine Figur läuft mit einem Bündel, wie auf der Flucht. Maria trägt das Kind in ein weißes Tuch gewickelt, einer der drei Könige bringt als Gabe ein weißes Totentuch. Der Verweis auf das Geschehen im Gaza-Streifen ist unübersehbar.

»Wir sind zornig, wir sind gebrochen«

»Christus unter Trümmern«, sagt Munther Isaac, der Pastor an der evanglisch-lutherischen Kirche in Bethlehem in einer starken Botschaft in der Weihnachtskirche am 23. Dezember. »Wir sind zornig, wir sind gebrochen.« Die Weihnachtszeit sollte eine Zeit der Freude sein, stattdessen seien die Menschen in Trauer und hätten Angst. »Mehr als 20.000 wurden getötet, Tausende sind noch unter den Trümmern. Fast 9.000 Kinder wurden auf die brutalste Weise getötet, Tag für Tag. 1,9 Millionen vertrieben, Hunderttausende Wohnungen zerstört, Gaza, wie wir es kannten, gibt es nicht mehr, sagt der Priester in seiner Predigt.

»Dies ist eine Vernichtung, dies ist ein Völkermord. Die Welt sieht zu. Die Kirchen sehen zu. Die Menschen in Gaza schicken Aufnahmen ihrer eigenen Hinrichtung.« Die Menschen in Palästina würden »vom Schweigen der Welt gefoltert. Die Führer der so genannten freien Welt haben einer nach dem anderen grünes Licht für diesen Völkermord an einer gefangenen Bevölkerung gegeben.«

Der Krieg habe bestätigt, daß die Welt »uns nicht als gleichberechtigt ansieht«, so Pfarrer Isaac. »Vielleicht ist es unsere Hautfarbe. Vielleicht ist es, weil wir auf der falschen Seite einer politischen Gleichung leben. Selbst unsere Verbundenheit mit Jesus Christus hat uns nicht geschützt. Sie sagen, wenn sie 100 palästinensische Zivilisten töten, um einen so genannten ‚Hamas-Militanten‘ zu töten, solle es so sein. In ihren Augen sind wir keine Menschen. Aber in den Augen Gottes kann uns niemand so etwas sagen. Heuchelei und Rassismus der westlichen Welt sind offensichtlich und entsetzlich. Nein, wir werden nicht als Gleiche behandelt.«

An die »europäischen Freunde“ richtet der zornige Pastor noch eine besondere Botschaft: »Ich will nie wieder hören, daß Ihr uns über die Menschenrechte oder über das internationale Recht belehrt.«

Biden hat keine Zeit für die Christen von Bethlehem

Pastor Isaac gehörte zu einer Delegation von Kirchenvertretern aus Bethlehem, die Ende November nach Washington reiste, um USA-Präsident Joe Biden persönlich einen Brief zu übergeben. Die Delegation aus Bethlehem forderte in dem Schreiben einen sofortigen Waffenstillstand. »Gott hat politische Führer mit einem Amt versehen, damit sie Gerechtigkeit bringen können«, stand in dem Brief. Die Politiker sollten diejenigen, die Not leiden, unterstützen und sich für Gottes Frieden einsetzen. »Wir wollen einen dauerhaften und umfassenden Waffenstillstand. Genug Tod. Genug der Zerstörung. Das ist eine moralische Verpflichtung.« Der Brief war von Vertretern der wichtigsten christlichen Gemeinden in Bethlehem unterzeichnet, darunter von Kirchen der griechisch-orthodoxen, syrischen, armenischen, katholischen und lutherischen Tradition.

Der Präsident der USA hatte keine Zeit für ein Treffen mit den Christen aus Bethlehem. Stattdessen ließ Biden die Botschafterin im UNO-Sicherheitsrat eine Resolution verhindern, die einen Waffenstillstand in Gaza forderte. Und auch eine entsprechende Resolution die von der UNO-Generalversammlung mit 153 Stimmen angenommen wurde, wurde von den USA abgelehnt. Der Brief der Christen aus Bethlehem wurde an einen Berater des USA-Präsidenten im Weißen Haus übergeben. »Gott liegt unter den Trümmern«, sagte Pastor Isaac vor Journalisten. »Kinder so zu töten, wie es geschieht, kann niemals Frieden bringen.«

»Es ist Krieg. Es ist Terror«

Seit der Gaza-Streifen 2007 von Israel abgeriegelt wurde, ging die Zahl der Christen dort zurück. Rund 2.000 Christen flohen vor den israelischen Angriffen 2008/09, 2012, 2014, 2021 und jetzt im neuen Krieg. Zuletzt lebten noch rund 1.000 Christen im Gazastreifen, weniger als 1 Prozent der Bevölkerung in dem »größten Freiluftgefängnis der Welt«, wie nicht nur die Palästinenser das abgeriegelte Gebiet nennen. Vor dem israelischen Bombardement suchten die Menschen Schutz in den Kirchen und kirchlichen Einrichtungen.

Doch auch dort sind sie nicht sicher. Am 19. Oktober schlug mindestens eine Rakete direkt oder in unmittelbarer Nähe eines Nebengebäudes der Kirche des Heiligen Porphyrius in Gaza Stadt ein, wo Hunderte Menschen untergebracht waren. 18 Menschen starben und viele wurden verletzt, als das Dach des Gebäudes einbrach und die Menschen unter sich begrub. Die Kirche wurde im Jahr 1150 gebaut und gilt als älteste Kirche in Gaza. Die Gemeinde gehört zum griechisch-orthodoxen Patriarchat von Jerusalem.

Am 4. November meldete die Katholische Kirche der Heiligen Familie in Gaza, daß eine der Schulen auf ihrem Gelände bei einem Luftangriff der israelischen Armee getroffen worden sei. Die von den Schwestern des Heiligen Rosenkranzes betriebene Schule war im Jahr 2000 gegründet worden und unterrichtete 1.250 Kinder christlichen und auch muslimischen Glaubens. Die Schule sei zerstört, berichtete Schwester Nabila Saleh der Hilfsorganisation Kirche in Not. Sowohl die Schule selbst, als auch ein großer Platz außerhalb der Schule seien zerstört worden. Ein Teil der Schule sei zusammengebrochen.

Nur wenige Tage vor Weihnachten, am 16. Dezember traf es erneut die Katholische Kirche der Heiligen Familie. Zwei Frauen, eine Mutter und ihre Tochter, die im Konvent der Kirche unterkommen waren, wurden erschossen, als sie von einem Gebäude zu einem anderen Gebäude gingen. Der Mörder war nach Angaben von Augenzeugen ein israelischer Scharfschütze, der Zivilisten auf dem Gelände gezielt ins Visier nahm. Sieben weitere Personen wurden verletzt. Obwohl ausschließlich Zivilisten auf dem Kirchengelände untergebracht sind, waren die Gebäude schon zuvor bombardiert worden. Papst Franziskus kommentierte die Angriffe mit den Worten: »Es ist Krieg. Es ist Terror.«