Bürgerkrieg in Israel?
Nach Verabschiedung der »Justizreform« gehen die Proteste weiter
Die Proteste gegen die »Justizreform« in Israel hatten ihr Ziel nicht erreicht. Dennoch gingen sie auch nach Verabschiedung des ersten Teils der »Reform« weiter. Sie dauern mittlerweile bereits seit über 30 Wochen an und brachten zwei Millionen Menschen auf die Straße.
Zehntausende demonstrierten am vergangenen Wochenende wieder in der Kaplanstraße in Tel Aviv, einer der belebtesten Hauptstraßen der Stadt. Demonstrationen fanden auch an 150 weiteren Orten in Israel statt. Tenor der Kundgebungen: Die Regierung habe mit der Verabschiedung dieser Gesetzgebung ihre Legitimität verloren. Für einige Minister des Likud wurde der Druck zu stark: Sie erwarten vor weiteren Gesetzesänderungen mehr Übereinstimmung.
Zu den Demonstranten in der Kaplanstraße gehörten wieder die »Waffenbrüder«, eine Gruppe von Reservisten des israelischen Militärs, die aus Protest gegen die Reform die Teilnahme an freiwilligen – und zum Teil auch obligatorischen – Übungen verweigern. Dies trifft vor allem die israelische Luftwaffe, die bei Angriffen und bei der Ausbildung auf erfahrene Reservepiloten angewiesen ist. Die möglichen Auswirkungen dieser Aktionen sollen in einigen Wochen überprüft werden.
Die Proteste vom vergangenen Wochenende richteten sich auch gegen die Polizeigewalt bei den Demonstrationen zuvor. Es wird keine offizielle Untersuchung der Vorfälle geben – stattdessen wird gegen Demonstranten ermittelt, die mit Bildern der beteiligten Polizisten auf die Vorfälle aufmerksam machen. Der rechtsradikale Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen. Er sprach von der Kampagne einer Gruppe von Anarchisten, die gegen die »heldenhaften Polizeibeamten« hetzen, die die Sicherheit der Bürger von Tel Aviv und Israel schützen.
Sicherheitsminister Ben-Gvir und Justizminister Yariv Levin gehören zu den Hardlinern, die jeden Versuch, einen Kompromiß zu finden, unterbanden. Sie schienen sogar Benjamin Netanjahu hinsichtlich seiner Einflußmöglichkeiten in die zweite Reihe zu verdrängen. Doch er steht voll hinter dem Vorgehen seiner Regierung und deutete sogar schon eine Verfassungskrise an, sollte der Oberste Gerichtshof die Gesetzgebung zur »Reform« zurückweisen. In einem Interview mit CNN gab er keine klare Antwort auf die Frage, ob die Regierung eine solche Entscheidung des Gerichts akzeptieren würde. Stattdessen meinte er, mit einer Ablehnung durch das Gericht würde Israel »Neuland« betreten.
Mittlerweile gibt es einen weiteren Vorstoß der Regierung. Kommunikationsminister Shlomo Karhi beschloß, seine umfassende »Reform« des Medienmarkts auf den Weg zu bringen. Sie politisiert die Regulierung der Kanäle und Sender und gibt dem Kanal 14 außergewöhnliche Vergünstigungen. Der Kanal 14 ist bekannt für seine rechte Ausrichtung und dafür, daß er nie ein Wort der Kritik an der Regierung äußert.
An einem der Protesttage gab es zwei Großkundgebungen – in Tel Aviv gegen die Reform, in Jerusalem dafür. Am Yitzhak-Navon-Bahnhof in Jerusalem trafen sich Gegner und Befürworter, die einen auf dem Weg nach Tel Aviv, die anderen bei der Ankunft in Jerusalem. Beide Seiten begrüßten sich freundlich. Dennoch ist die Furcht vor einem Bürgerkrieg weit verbreitet. Eine Umfrage ergab, daß 58 Prozent der Israelis einen solchen für möglich halten, bei den Gegnern der »Reform« sind es sogar 75 Prozent.
Für die Gegner der »Reform« ist sie ein Coup, der zur schlimmsten Krise in der Geschichte des Landes führen wird. Und Landwirtschaftsminister Avi Dichter vom Likud warnt vor den Eiferern auf beiden Seiten. Israel betritt auf jeden Fall den Weg in politisches Neuland.