»Frieren für die Freiheit«
Die Eilmeldung des Tages kam am Freitag von der Deutschen Presseagentur: »Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und das ukrainische Volk bekommen den Karlspreis 2023 für Verdienste um Europa«. Dabei hat diese Meldung zunächst so gut wie keinen Nachrichtenwert, denn es wäre absolut überraschend, wenn der Preis, der seit dem Jahr 1950 in der Stadt Aachen »für Verdienste um Europa und die europäische Einigung« verliehen wird, nicht an die Ukraine gegangen wäre.
In diesem Jahr gab es nur wenige Ehrungen und Preise, die nicht irgendwie in Verbindung mit dem Krieg in der Ukraine vergeben wurden. Beim Oscar hat es zwar noch nicht geklappt, aber erwartungsgemäß ging der diesjährige Friedensnobelpreis zumindest zu einem Drittel an Vertreter der sogenannten Zivilgesellschaft der Ukraine, also an Leute, die nicht der Medienzensur des Präsidenten in Kiew unterliegen, sondern brav ins antirussische Horn blasen. Erschreckend für jeden Freund der humanistischen Literatur war die Verleihung des Heinrich-Heine-Preises an einen ukrainischen Autor, dessen Lektüre den Namensgeber des Preises mit Sicherheit in seinem Grab rotieren lassen würde.
Das Karlspreisdirektorium und die Stadt Aachen erklärten, daß »das ukrainische Volk unter Selenskis Führung nicht nur die Souveränität seines Landes und das Leben seiner Bürger« verteidige, »sondern auch Europa und die europäischen Werte«. Man wolle unterstreichen, daß die Ukraine Teil Europas sei. Bevölkerung und Regierungsvertreter verdienten »die Ermutigung«, »rasch Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union zu führen«.
Das ist zumindest einige Überlegungen wert, denn an diesem Satz kommt nur eine einzige Aussage der Wahrheit einigermaßen nahe, nämlich daß die Ukraine Teil Europas ist. Aber selbst das muß relativiert werden, denn die Autoren der Begründung verstehen »Europa« nicht als Europa, also den Kontinent, zu dem bekanntlich sogar ein ziemlich großes Stück Rußland gehört, sondern als Europäische Union.
Alles andere in der Begründung ist billige Propaganda. Man muß nicht täglich die Nachrichten lesen, um zu wissen, daß nicht »das ukrainische Volk« Selenskis Krieg führt. Wer in den vergangenen acht Jahren nicht blind und taub war, weiß, daß das ukrainische Regime seit dem Jahr 2014 einen Krieg gegen Teile des eigenen Volkes führt, nämlich gegen die mehrheitlich russischsprachige Bevölkerung der Ostukraine – einen Krieg, der nach UNO-Angaben mindestens 15.000 Todesopfer gefordert hat. Und nebenbei gesagt ein Krieg, der vom »Westen« nicht nur geduldet, sondern tatkräftig gefördert wurde, um die Ukraine stark genug zu machen für eine Konfrontation mit Rußland. Das hat die deutsche Ex-Kanzlerin Angela Merkel gegenüber der Hamburger Wochenzeitung »Die Zeit« ausdrücklich eingeräumt.
Diese Konfrontation ist nun da, und es ist aus der Sicht der »westlichen« Politik völlig logisch, daß der Krieg noch möglichst lange dauern soll. Deshalb gehen Milliarden über Milliarden an die Ukraine, und niemand weiß, wo sie versickern, und deshalb schickt der Westen Waffen und Munition in bisher ungekanntem Ausmaß, auf daß Rußland »auf dem Schlachtfeld besiegt« werde.
Und deshalb sollen kein Gas und kein Öl mehr aus Rußland nach Westen fließen, um Rußland zu schaden, und deshalb wird uns im Westen gesagt, daß wir ruhig ein wenig frieren sollen in diesem Winter, und wohl auch im kommenden – »für unsere Freiheit«. Vielleicht sollte »Frieren für die Freiheit« ganz oben auf die Liste »unserer Werte« gesetzt werden.