Problem erkannt?
Boom bei Investitionen und Übernahmen aus Golfstaaten statt Krise? Mainstreammedien lieben Erfolgsgeschichten
Die EU und die USA werden aktuell von Milliardeninvestitionen aus dem Mittleren Osten förmlich überschwemmt. Unter dem Titel »Petrodollar für Europa« lancierte das »Handelsblatt« am Donnerstag vergangener Woche eine interessante Titelgeschichte. Demnach hätten Länder wie Saudi-Arabien, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate 2022 53 Milliarden US-Dollar in Übernahmen und Investitionen gesteckt. Davon seien 4,4 Milliarden Dollar nach Deutschland geflossen. Denn das Land biete »viele interessante Investitionsmöglichkeiten«, zitierte das Blatt einen regionalen Manager der US-amerikanischen Großbank J. P. Morgan.
Damit sendet die Zeitung aus dem Medienimperium Dieter von Holtzbrincks eine Botschaft: Deutschland ist und bleibt ein begehrter Standort für internationale Investoren. Das trifft allerdings weder auf Stimmung (Ifo-Geschäftsklimaindex) noch faktische Lage zu. Beide sind schlecht. Und nebenbei: 4,4 Milliarden Dollar sind eine eher bescheidene Summe für das suggerierte »Shopping in Germany«. Vor allem, wenn man berücksichtigt, daß das nominale deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) sich im Vorjahr auf satte vier Billionen – also 4.000 Milliarden – US-Dollar belief.
Nachhaltige Schrumpfung
Meinungsmacher haben es derzeit nicht leicht. Noch im Frühjahr herrschte Optimismus. Ja, die deutsche Wirtschaft hat zwar Probleme, aber die Aussichten sind ermutigend, könnte man den Tenor von Regierung, Ökonomen und Mainstream-Medien zu diesem Zeitpunkt zusammenfassen. Die sogenannten Wirtschaftsweisen korrigierten ihre Wachstumsprognose um 0,4 Punkte nach oben – von minus 0,2 auf plus 0,2 Prozent Wachstum des BIP. Auch die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute folgten diesem Trend.
Doch im Hochsommer ist offensichtlich: Statt einer »konjunkturellen Delle« droht dem Land eine Schrumpfung der Wirtschaftsleistung über Quartalszeiträume hinaus. Zwar träumt Kanzler Olaf Scholz auch derzeit noch von einem »grünen« Wirtschaftswunder, und »Klimaminister« Robert Habeck ist sicher, alles richtig gemacht zu haben. Dennoch – oder gerade deshalb – trauen sich die Mainstreammedien nicht, die Fehlentscheidungen klar zu benennen. Lieber versucht man sich daran, die Lage schönzureden bzw. eine Art Balance zwischen Realität und Wunschdenken der Bundesregierung zu wahren.
Das wird besonders deutlich, wenn man die genannte »Handelsblatt«-Ausgabe durchblättert und auf den Seiten 22 und 23 einen umfangreichen Beitrag unter dem Titel »Transformation unter Schmerzen«, findet. Dort heißt es in der Unterzeile tatsächlich: »Zuviel Klimaschutz führe in die Deindustrialisierung, davor warnt nicht nur die AfD. (…) Doch wie gelingt der Umbau?«
Politische Entscheidung wird zum Bumerang
Problem erkannt – und lediglich politisch korrekt aufgehübscht? Eher nicht. Denn die im erstgenannten Beitrag ausführlich beschriebenen Investitionsvorhaben mit Petrodollars werden mit der aktuellen Finanzstärke der betreffenden Länder begründet. »Während der Rest der Welt mit hoher Inflation, Energiekrisen, Unruhen, Kriegen oder Regierungsumstürzen zu tun hat, profitieren die Golfstaaten seit anderthalb Jahren von steigenden Ölpreisen. Experten schätzen, daß die Ölnationen 1,3 Billionen Dollar an zusätzlichen Umsätzen kassiert haben dürften.«
Genau hier fehlt das wichtigste Bindeglied zum Verständnis der Realität: Es war der ausdrückliche politische Wille der NATO-Staaten, Rußland nach dem Februar 2022 mit Wirtschaftssanktionen zu überziehen und einen hybriden Krieg gegen die Atommacht zu führen. Dies, und nichts anderes, setzte die Kaskade aus rapide steigenden Öl- und Gaspreisen in Gang, feuerte die ohnehin latent vorhandene Inflation an und wirkte auf EU-Europa und insbesondere auf die BRD wie ein Bumerang.
Und nicht nur die Golfstaaten haben Kasse gemacht. Auch die USA-Wirtschaft wird vom eigenen Kriegskurs befeuert. Bislang in der EU eher skeptisch beäugtes Frackinggas war plötzlich der Renner, dessen Preise so lukrativ wie nie für die Förderfirmen. So wurde aus dem Klimakiller eine Art Retter des »freien Westens«.
Eine böse Klatsche versetzte im Juli ausgerechnet der Internationale Währungsfonds (IWF) den Bemühungen der regierungskonformen Medien, die Folgen der aktiven Politik zu verschleiern. In seiner korrigierten Konjunkturprognose für das Gesamtjahr 2023 findet sich Deutschland unter den acht wichtigsten Wirtschaftsstaaten der Welt (USA, China, Indien, Japan, Deutschland, Rußland, Frankreich, Britannien) auf dem letzten Platz wieder (BIP- Schrumpfung um 0,3 Prozent). Rußland indes wird vom IWF mit einem Wachstum von 1,5 Prozent des nominalen BIP eine klar bessere Performance bescheinigt.