Ausland23. August 2024

Macron lädt zu Konsultationen ein

Suche eines Premiers kommt nach Suche einer Koalition

von Ralf Klingsieck, Paris

Sieben Wochen nach der Auflösung des Parlaments und den Neuwahlen hat Frankreich immer noch keine neue Regierung. Lediglich die laufenden Geschäfte weiterzuführen, mochte für die Sommermonate reichen, doch jetzt droht akut die Gefahr, daß der Haushaltsentwurf für 2025, der dem Gesetz nach am 1. Oktober vorliegen muß, nicht fristgerecht fertig wird.

Darum hat der noch amtierende Premierminister Gabriel Attal Mitte dieser Woche seinen Noch-Ministern einen Brief mit den Vorgaben für die Gelder geschickt, die ihrem Ministerium im nächsten Jahr zur Verfügung stehen werden, wobei er im Wesentlichen die Zahlen des Vorjahres übernahm, allerdings ohne die Inflation zu berücksichtigen.

Ob es eine Parlamentsdebatte darüber geben wird, ist fraglich, zumal der Haushalt auch ohne Diskussion und Abstimmung gemäß dem Ausnahmeparagraphen 49.3 der Verfassung in Kraft gesetzt werden kann.

Die linke Opposition verurteilt dieses in der Geschichte der Fünften Republik beispiellose Vorgehen als undemokratisch und verlangt, endlich einen neuen Premier zu ernennen und mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Die Neue Volksfront, in der sich linke Kräfte versammelt haben, fordert unter Berufung auf ihren knappen Sieg bei den Parlamentswahlen, ihre Kandidatin Lucie Castets, die Finanzdirektorin der Pariser Stadtverwaltung, zu ernennen. Diese hat bereits den Entwurf für ein komplettes Regierungsprogramm vorgelegt und auch einen Haushaltsentwurf für 2025.

Weil sie immer noch nicht zur Regierungschefin ernannte ist, hat La France insoumise sogar angekündigt, gleich nach der Sommerpause des Parlaments einen Antrag auf Ablösung von Präsident Macron zu stellen. Doch bei dieser aussichtslosen und rein propagandistischen Initiative wird LFI von keiner der anderen Parteien des Nouveau Front populaire (NFP) unterstützt. Den Kandidaten einer bei den Wahlen siegreichen Partei mit der Regierungsbildung zu beauftragen, ist zwar Tradition, aber nicht gesetzlich vorgeschrieben.

So fiel es Präsident Macron leicht, den Gedanken, die Kandidatin der Linken zur Premierministerin zu ernennen, schon vor Wochen in einem Fernsehinterview schlichtweg vom Tisch zu wischen. Gleichzeitig hatte er betont, daß er nur einen Politiker zum Premier ernennen und mit der Regierungsbildung beauftragen werde, der realistische Aussichten hat, eine regierungsfähige Koalition zu schmieden. Eine derartige Koalition könnte, wie Gabriel Attal in seiner künftigen Eigenschaft als Fraktionsvorsitzender der Macron-Partei Renaissance in einem Interview andeutete, von den Kommunisten, den Grünen und den Sozialisten über die Macron-Partei und das Zentrum bis zu den Republikanern reichen. Dagegen sollen La France insoumise und das Rassemblement national von Marine Le Pen herausgehalten werden.

Für den heutigen Freitag hat Präsident Macron die Vorsitzenden aller im Parlament vertretenen Parteien und deren Fraktionsvorsitzende zu Konsultationen über das Thema Regierungsbildung ins Elysée eingeladen. Den Anfang macht dabei der Nouveau Front populaire. Das ist bisher die einzige Geste der Anerkennung des Wahlsieges des NFP. Ob diese »Konsultationen« tatsächlich Einfluß auf Macrons Entscheidung haben werden, muß bezweifelt werden. Erfahrungsgemäß hat der Präsident in solchen Fällen seine Wahl insgeheim längst gefällt.

Als aussichtsreichste Anwärter auf den Posten des Regierungschefs gelten unter Beobachtern der »linke Rechte« Xavier Bertrand oder der »rechte Linke« Bernard Cazeneuve.

Bertrand ist Ratspräsident der nordfranzösischen Region Haut-de-France und demonstriert dort, wie er sich eine den Menschen und ihren Problemen nahe Politik »sozialer Marktwirtschaft« vorstellt, wobei er allerdings nicht viel Zuspruch von seinen Parteifreunden von der rechtsoppositionellen Partei der Republikaner bekommt. Cazeneuve war unter dem sozialistischen Präsidenten François Hollande erst ein Jahr Budgetminister, dann fast drei Jahre lang Innenminister und schließlich noch knapp ein halbes Jahr Premierminister. Er repräsentierte seinerzeit den rechten Flügel der SP und war dann zu Zeiten Macrons ein entschiedener Gegner des Zusammengehens der Sozialisten mit den anderen linken Kräften erst in der Nouvelle union populaire écologique et sociale (NUPES) und dann im Nouveau Front populaire. Aus Protest gegen die Zusammenarbeit der PS mit der von ihm als »linksextrem« bewerteten Bewegung LFI hat er die Sozialistische Partei verlassen und seine eigene Partei – La Convention – gegründet.

Ob die beiden Politiker sich zutrauen würden, eine von Macron gewünschte »Große Koalition« zusammenzubringen und mit ihr erfolgreich zu regieren, ist die große Frage. Viele Beobachter bezweifeln das, sehen für die nächsten Monate ein politisches Chaos und Handlungsunfähigkeit voraus, und nach der gesetzlichen Frist eines Jahres eine erneute Auflösung des Parlaments und Neuwahlen.