Schlecht für die Umwelt, gut fürs Geschäft
EU und Deutschland setzen auf Fracking-Gas. Das hat es in sich
Alle reden – wie zuletzt auf der COP27 – von Klimazielen und Energiewende, doch tatsächlich gibt es zumindest in EU-Europa eine Energiewende ganz eigener Art. LNG heißt das Zauberwort und mithilfe dieses »Liquified Natural Gas« sollen wir die »Abhängigkeit vom russischen Gas beenden«. Das sind schlechte Nachrichten für das Klima – aber es ist gut fürs Geschäft.
LNG statt Gas aus Rußland – vor Monaten hatte Wirtschaftsminister Robert Habeck die Deutsche Umwelthilfe aufgefordert, nicht gegen den Bau eines LNG-Terminals in Wilhelmshaven zu klagen. Und um seiner Aufforderung Nachdruck zu verleihen, wurde der Baustart ohne Offenlegung der Unterlagen und Beteiligung von Umweltverbänden genehmigt und ist mittlerweile abgeschlossen.
Was in Wilhelmshaven unter dem Vorwand »Putin« forciert wurde, begann schon lange zuvor. Im Jahr 2017 gab es 18 LNG-Exportländer. Zwei ragten heraus: Australien und die USA waren für fast 60 Prozent der 2017 neu hinzugekommenen LNG-Exporte verantwortlich.
Es ist ein Boom. Endlich kann – wie es in der Werbung eines LNG-Anbieters heißt – »mit einem LNG-Tanker eine Distanz von mehreren tausend Kilometern einfach überwunden und so die ganze Welt mit Flüssigerdgas beliefert werden«.
Keine künstliche Beschränkung mehr durch die leitungsgebundene Gasversorgung und womöglich langfristige Preisbindung. LNG-Tanker können das Gas dahin liefern, wo der höchste Profit zu erwarten ist. Für das Kapital und seine Profitinteressen – ein Traum.
Ein Traum, wie er wohl erst durch den Zerfall der Sowjetunion und den Siegeszug der neoliberalen Wirtschaftspolitik möglich wurde. In der EU begann die neoliberale Umgestaltung auch des Energiemarktes 1996 mit einer ersten Richtlinie zur Liberalisierung des Elektrizitätsmarktes, der Gasmarkt folgte 1998 und 2004 gab es die Liberalisierung des deutschen Gasmarktes.
Für die EU-europäischen Kleinverbraucher hieß die Liberalisierung der Märkte: Verteuerung der Energie. Und wo langfristige Verträge eine gewisse Planungssicherheit für Industrie und Verbraucher brachten, bieten der Spotmarkt mit seinem Auf und Ab und die Anlieferung von LNG die Möglichkeit für horrende Gewinne, aber auch für kapitales Chaos. Denn es reicht nicht, mit einem Tanker eine Distanz von mehreren tausend Kilometern zu überwinden. Es braucht neben dem »traditionellen« Netz der Pipelines aus Rußland eine zweite komplexe Infrastruktur, um das Gas aufzunehmen, zwischenzulagern und zu verteilen.
»Wir müssen mehr investieren«, sagt der konservative deutsche Energiepolitiker Christian Ehler. Neue Investitionen und der Bau neuer Infrastruktur bedeuten aber, die Nutzung von LNG auf viele Jahre hinaus festzulegen – entgegen den von der EU formulierten Klimazielen.
Erdgas ist unter den fossilen Energieträgern der, der die wenigsten Treibhausgase beim Verbrennen produziert. Aber wie so oft kommt es auf das Kleingedruckte an: Erdgas besteht zum größten Teil aus Methan und ist damit vor der Verbrennung selbst ein klimaschädliches Gas. (Methan ist 25-mal klimaschädlicher als Kohlendioxid.) Und wie viel Kohlendioxid bei der Verbrennung entsteht, hängt davon ab, ob Erdgas eingesetzt wird, um Wärme zu produzieren oder um Strom zu erzeugen, ob es alte Anlagen sind oder neue und vor allem davon, wie es produziert und transportiert wird.
Hier hat LNG mit Verflüssigung bei minus 165 Grad, Aufbewahrung in Wärmeisoliertanks zum Teil über Wochen, Verladevorgängen und der Rückverwandlung in Erdgas ein größeres Schadenspotential als der Transport in Pipelines.
Doch der Faktor, der LNG besonders schädlich macht, ist die Produktion. Besonders in den Boomländern – USA und Australien – wird LNG auf »unkonventionelle« Art gefördert: mittels Fracking.
Beim Fracking wird Wasser, das mit Salzen und anderen Chemikalien versetzt wird, unter hohem Druck in Gesteinsschichten gepreßt. Der Druck und der Chemikalienmix führen dazu, daß sich Risse im Gestein bilden und Öl und Gas, die festeingeschlossen waren, aus diesen Gesteinsschichten gewonnen werden können. Von allen Arten, Öl und Gas zu gewinnen, ist Fracking bisher die umweltschädlichste. Zudem liegt das Zentrum der Fracking-Industrie in den USA in Texas, einem Bundesstaat, der auch ohne Fracking an Wassermangel leidet.
Und wohin mit dem Abwasser? Für die Ölförderung mittels Fracking liegen Zahlen vor. Mit jedem Barrel Öl, das gefördert wird, fallen zwischen drei und sechs Barrel salziges, chemisch verunreinigtes Abwasser an, das teilweise zuvor lange Zeit im Gestein gebunden war. Es wird wieder in den Boden verpreßt, in unterschiedlicher Tiefe und mit unterschiedlichen Auswirkungen. Es kann Grundwasser verunreinigen, das zur Trinkwassergewinnung verwendet wird. Es kann aber auch Erdbeben auslösen.
Die Zahl der Erdbeben in Texas hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Und zwar vor allem im westlichen Permian Basin, wo sich die meisten Fracking-Anlagen des Bundesstaates befinden. Wissenschaftliche Studien haben den Zusammenhang aufgezeigt zwischen den Erdbeben und der Gewohnheit der Öl- und Gasindustrie, Abwasser in den Boden zurückzupumpen.
Und die notorisch unzureichende Aufsicht der USA-Behörden trägt dazu bei, daß die Infrastruktur der Fracking-Industrie in den USA massiv das klimaschädigende Methan freisetzen kann.
Fracking hat in den letzten Jahren die USA – und dort vor allem Texas – zum größten Erdöl- und Gasproduzenten gemacht. Nicht alle Texaner jubeln darüber. Texanische Umweltschützer, die seit Jahren gegen die Verschmutzung ihrer Region kämpfen, haben sich in einem offenen Brief an USA-Präsident Joe Biden gewandt. Der jüngste Plan der Regierung sei nicht nur gefährlich, sondern er schere sich auch nicht um die Opposition der Bewohner des Rio Grande Valley im Süden von Texas und der dortigen Ureinwohner, die seit Jahren den Ausbau der Fracking-Anlagen verhindern wollen.
In den meisten Ländern Europas ist Fracking – aus guten Gründen – zurzeit nicht erlaubt. Das hindert weder die EU noch Deutschland daran, immer mehr Fracking-Gas aus den USA zu importieren. Dabei kam das deutsche Umweltministerium in einer Studie zu einem einfachen Schluß: Die klimaschädlichen Emissionen aus Produktion und Transport in die EU fallen für LNG stets höher aus als die der leitungsgebundenen Gasversorgung. Im Extremfall sind sie mehr als sieben Mal so hoch.
Langfristig sollen die USA 50 Milliarden Kubikmeter pro Jahr liefern, wie Präsident Biden zusammen mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Brüssel ankündigte. Damit soll rund ein Drittel der derzeitigen Gasimporte aus Rußland ersetzt werden. – Für die Fracking-Industrie in den USA, die schon mehrmals totgesagt wurde, kündigen sich wunderbare Zeiten an.