Ausland19. Juli 2023

Faktencheck

»Hunger als Waffe«

von Uli Brockmeyer

Die grüne deutsche Außenministerin hat den russischen Präsidenten am Montag vor laufenden Kameras aufgefordert: »Unterlassen Sie es, Hunger als Waffe einzusetzen!«

Frau Baerbock bezog sich damit auf das am Montag ausgelaufene Schwarzmeer-Abkommen vom 22. Juli 2022, das die ungehinderte, jedoch kontrollierte Passage von Schiffen mit ukrainischen und russischen Handelsgütern durch das Schwarze Meer regelte. Ziel der Vereinbarung war in erster Linie die Ausfuhr von Agrar-Produkten.

Nach der üblichen Lesart in den weitgehend gleichgeschalteten Medien des »Werte-Westens« wird die Vereinbarung, die unter Vermittlung der UNO und der Türkei durch Vertreter Rußlands und der Ukraine unterzeichnet worden war, allerdings lediglich »Getreideabkommen« genannt, eine »für die weltweite Nahrungsmittelversorgung bedeutende Vereinbarung« (ARD-Tagesschau vom 17.7.23, 20 Uhr). Das Narrativ lautet, es gehe um die Ausfuhr ukrainischen Getreides, mit dem die Hungerkrise in den ärmeren Ländern bekämpft werden soll.

Verträge haben zwei Seiten

Tatsächlich regelt das Abkommen die Passage ukrainischer und russischer Exporte, die für die Nahrungsmittelversorgung und die Landwirtschaft von Bedeutung sind. Darin eingeschlossen waren auch Transporte russischer Düngemittel – Rußland ist weltweit der größte Produzent – über das Schwarze Meer. Laut der Vereinbarung sollten diese Exporte »durch die Aufhebung von Sanktionen erleichtert werden« (Tagesschau vom 22.7.2022). Das ist jedoch nicht geschehen. Russische Exporte werden weiterhin durch Sanktionen behindert, wodurch Zahlungsverkehr, Versicherungen und Logistik weitgehend unmöglich gemacht werden. Fehlende Düngemittel sind eine der Ursachen für die wachsende Hungerkrise in der Welt. Frau Baerbock sollte sich also fragen lassen, WER hier den Hunger als Waffe einsetzt.

8 Prozent bedeutet »vor allem«

Die Exporte ukrainischen und russischen Getreides sollten eigentlich den ärmeren Ländern der Welt helfen, die Hungerkrise zu bekämpfen. Als »Erfolg« des Abkommens wurde in der ARD-Tagesschau am Montagabend (17.7.23, 20 Uhr) behauptet, die Ukraine habe »mehr als 38 Millionen Tonnen Getreide exportiert, vor allem in ärmere Länder«.

Tatsächlich berichtete die Deutsche Presseagentur (dpa) am Montag, von den 38 Millionen Tonnen seien 1,9 Millionen Tonnen Weizen und 26.000 Tonnen Sonnenblumenöl in ärmere Länder verschifft worden, also lediglich 8 Prozent.

Laut einer UNO-Statistik gingen die meisten ukrainischen Transporte nach China, Spanien, in die Türkei, nach Italien und in die Niederlande. Erst danach folgen mit einigem Abstand Ägypten, Bangladesch, Israel und Tunesien. Weitere Abnehmerländer sind Portugal, Indien, Libyen, Belgien, Kenia, Deutschland, Indonesien, Frankreich, Südkorea und Rumänien, danach kommen die wirklich bedürftigen Länder Äthiopien und Jemen.

Anzumerken ist auch, daß erst einige Wochen nach dem Inkrafttreten des Abkommens ein erster Frachter speziell für die Versorgung von nordafrikanischen Ländern auslief; das Schiff wurde allerdings von der UNO gechartert, die Ladung von der UNO bezahlt.

8 Milliarden Euro eingenommen

Die UNO-Statistik gibt auch an, daß lediglich 43 Prozent der Exporte in sogenannte Entwicklungsländer gingen, die anderen 57 Prozent in entwickelte Industriestaaten. 44 Prozent der Importstaaten werden von der UNO als Länder mit hohem Einkommen bezeichnet. Lediglich 3 Prozent gingen an Länder mit niedrigem Einkommensniveau. Das erklärt auch, warum die Ukraine mit den Exporten Erlöse von umgerechnet mehr als 8 Milliarden Euro erzielen konnte.

Rußland hatte im Laufe des seit dem Vertragsabschluß vergangenen Jahres wiederholt darauf hingewiesen, daß auch der Rußland betreffende Teil der Vereinbarung eingehalten werden müsse. Diese Hinweise wurden vom Westen schlicht ignoriert. Eine Wiederaufnahme des Schwarzmeerabkommens wäre also recht einfach möglich, indem alle Bestandteile des Vertrages in Kraft gesetzt werden. Das wäre ein echter Beitrag zur Bekämpfung des Hungers in der Welt. So lange muß sich vor allem der »Wertewesten« vorhalten lassen, den Hunger als Waffe zu benutzen.

Anzumerken ist noch, daß durch die Aufhebung so gut wie aller Importvorschriften für ukrainisches Getreide und andere Agrarprodukte in die Europäische Union vielen Landwirten vor allem in den osteuropäischen EU-Ländern großer Schaden zugefügt wurde. Die EU-Führung setzte sich jedoch darüber hinweg und ignorierte auch Grenzblockaden und weitere Proteste – schließlich geht es bei diesem Krieg nicht um das Wohl der Menschen in der EU, sondern darum, mit allen Mitteln Rußland zu schaden.

Bleibt noch, darauf hinzuweisen, daß alle hier genannten Daten NICHT aus russischen Quellen stammen, sondern ausschließlich von der dpa, der ARD und der UNO.