Leitartikel10. August 2024

Es war einmal ein olympischer Gedanke

von Uli Brockmeyer

Wenn an diesem Sonntag die von viel Kommerz begleiteten Olympischen Spiele mit einer höchstwahrscheinlich grandiosen Show in Paris offiziell beendet werden, wird sich kaum jemand daran erinnern, daß es einst einen olympischen Gedanken gab.

Als Baron Pierre de Coubertin auf die Idee kam, die Tradition olympischer Sportwettkämpfe der griechischen Antike neu zu beleben, konnte er sich wohl kaum vorstellen, in welchem Maße der olympische Gedanke in der Gegenwart pervertiert wird.

Der Begründer der Olympischen Spiele der Neuzeit wollte nicht nur sportliche Wettkämpfe, sondern auch einen Beitrag zum friedlichen Zusammenleben der Völker leisten. Der sportliche Wettstreit von jungen Menschen möglichst vieler Nationen stand im deutlichen Gegensatz zu den kriegerischen Auseinandersetzungen, die zuvor gerade erst mit dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 einen Teil Europas zu einer Trümmerwüste gemacht hatten. Umso dringender war gegenseitiges Kennenlernen zur Verständigung zwischen den Völkern.

Zum olympischen Gedanken gehörte dereinst auch die wohl beste Tradition der antiken olympischen Spiele, daß während der sportlichen Wettkämpfe die Waffen zu ruhen hatten. Welch schöner Gedanke: Für die Zeit der Olympischen Spiele schweigen die Waffen, macht jeder Krieg Pause. Wie viele Opfer könnten dadurch auch in unseren Tagen vermieden werden, welche Hoffnung könnte sich daraus für die friedliche Beilegung von Konflikten ergeben?

Allerdings ist heute auf keinem der Kriegsschauplätze ein Ruhen der Waffen in Sicht. Völlig ungestört von den Spielen in Paris gehen die Gemetzel in Gaza, in der Ukraine, im Sudan weiter, wird ein größerer Krieg im Nahen Osten erwartet, nachdem der Staat Israel mit gezielten Tötungen in Teheran und in Beirut zu Vergeltungsschlägen herausgefordert hat. Bei den Spielen selbst wird ein wohl durchdachter Haß geschürt, indem vor allem die Sportler aus Rußland von der Teilnahme ausgeschlossen werden, weil Rußland Krieg führt, Sportler aus Israel jedoch hofiert werden, obwohl deren Heimatland in seinem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen das Volk von Palästina ungehindert Zehntausende Menschen umbringt.

Täglich erreichen uns neue schreckliche Meldungen über israelische Angriffe auf Schulen, auf Flüchtlingslager, Luftangriffe und Artilleriesalven gegen libanesisches Territorium, Provokationen durch israelische Kriegsflugzeuge über Beirut, Todesdrohungen gegen tatsächliche und vermeintliche Gegner, die Forderung eines israelischen Ministers, den Gazastreifen hermetisch abzuriegeln und die Menschen dort Hungers sterben zu lassen. Dennoch hält sich das Narrativ vom armen, bedrohten Israel, das lediglich sein Recht auf Selbstverteidigung wahrnimmt. Das geht so weit, daß bei der Gedenkfeier für die Opfer des Abwurfs der Atombombe der USA am 9. August 1945 auf Nagasaki die Botschafter der USA und Deutschlands ihre Teilnahme absagen, weil die Stadt Nagasaki den Botschafter Israels nicht eingeladen hat.

Das Zusammentreffen von Sportlern aus (fast) der ganzen Welt hätte Anlaß sein können, die Idee der Völkerverständigung wieder aufleben zu lassen, die letztlich dazu führen könnte, über Wege zum Frieden nicht nur nachzudenken, sondern sie auch zu beschreiten. Statt dessen wird keine Gelegenheit ausgelassen, bestehende Konflikte zu schüren und neue zu schaffen.

Was für ein schöner Gedanke: Während der Olympischen Spiele der Antike schwiegen die Waffen…