Ausland11. August 2023

Das Ende westlicher Vorherrschaft?

Zur Bedeutung des Putsches im Niger

von Jörg Kronauer

Ein Putsch im Niger – das wäre noch vor wenigen Jahren nichts gewesen, was die sattgegessene, herrschaftsgewohnte »westliche« Bourgeoisie zu einem Klick auf irgendein landesübliches Nachrichtenportal veranlaßt hätte. Ein Putsch in Afrika? Das kenne man, in Niger sowieso – da hätten wohl wieder irgendwelche Offiziere ein mageres Hühnchen mit irgendeinem Lokalfürsten zu rupfen, so lautete meist die gängige Meinung, und so mancher verkappte Kolonialnostalgiker ließ Seufzer fahren wie denjenigen, den der australische Ex-Premierminister John Howard im Juli von sich gab: daß nämlich die Kolonialzeit »das Glücklichste« gewesen sei, das einem Land widerfahren konnte. Howard bezog die Behauptung freilich auf Australien, nicht notwendig auf die Staaten Afrikas.

Daß der Putsch, mit dem die Militärs im Niger am 26. Juli ihre Regierung stürzten, im Westen zwei Wochen später immer noch Schlagzeilen macht; daß aus einem Umsturz von zunächst nur lokaler Bedeutung ein international beobachtetes Ereignis geworden ist, zeigt: Da ist etwas grundlegend in Bewegung geraten, und dies sogar auf mehreren Ebenen.

Deren erste: der Sahel. Dessen größter Teil war französisches Kolonialgebiet. Mit der Entkolonialisierung wurde er ein Element der »Françafrique«, von Frankreichs informellem Einflußgebiet in seinen einstigen afrikanischen Kolonien. Paris verteidigte seine Dominanz dort in der Regel beinhart; gelegentliche Rebellionen – man denke an Burkina Faso unter Thomas Sankara – wurden mit allen Mitteln niedergeschlagen.

Seit rund zwei Jahren zeigt sich nun aber: Frankreich gelingt das offenbar nicht mehr. Zuerst Mali, dann Burkina Faso warfen französische Truppen aus dem Land; das Gleiche zeichnet sich nun auch in Niger ab. Niger wäre bereits der dritte Staat, in dem Paris binnen kurzer Zeit weitgehend entmachtet würde. Fängt die »Françafrique« an zu bröckeln?

Die Frage stellt sich umso mehr, als die Entwicklung in Mali, Burkina Faso und Niger kein isoliertes Phänomen ist: Sie ist Teil eines neuen, immer öfter erfolgreichen Strebens auf dem gesamten afrikanischen Kontinent nach Eigenständigkeit jenseits europäischer sowie US-amerikanischer Dominanz.

Trotz heftigen transatlantischen Drucks stimmten am 2. März 2022 nur 28 der 54 afrikanischen Staaten in der UNO-Generalversammlung der Resolution zu, die Rußlands Angriff auf die Ukraine mißbilligte. Trotz noch stärkeren Drucks weigern sich bis heute alle Staaten des Kontinents, sich an den westlichen Rußland-Sanktionen zu beteiligen. Zum Rußland-Afrika-Gipfel Ende Juli in Sankt Petersburg reisten Staats- oder Regierungschefs aus 21 afrikanischen Ländern an, obwohl die westlichen Mächte wütend tobten; sogar 49 Staaten waren mit meist hochrangigen Delegationen vertreten.

Und: Erstmals treten mehrere Staaten Afrikas als Vermittler in Europa auf, indem sie zwischen Rußland und der Ukraine Verhandlungen über ein Ende des Krieges einzuleiten suchen. Die neue Eigenständigkeit ist die zweite Ebene, auf der sich auf dem afrikanischen Kontinent etwas wirklich tiefgreifend verschiebt.

Wieso ist das möglich? Nun, ganz einfach: Die afrikanischen Staaten haben inzwischen bei der Suche nach Kooperationspartnern die Wahl. China ist gewaltig erstarkt, ist die dominante Wirtschaftsmacht in Afrika geworden. Indien hat massiv an Einfluß gewonnen, hängt beim Afrika-Handel längst Deutschland ab. Auch die Türkei, die Vereinigten Arabischen Emirate sind dabei, sich eine starke Position auf dem Kontinent zu erkämpfen. Rußland wiederum ist mit Abstand größter Waffenlieferant.

Es besteht also keine Notwendigkeit mehr, sich dem Westen, den früheren Kolonialmächten, alternativlos unterzuordnen, und es wird schon längst mit höchst unterschiedlichen Optionen experimentiert. Mali etwa hat russische Militärs und Söldner ins Land geholt. Burkina Faso versucht es, um nicht in erneute Abhängigkeit zu geraten, ohne sie.

Niger? Nun, man wird sehen. Die Tatsache, daß die Militärs in Niamey verschiedene Möglichkeiten haben, das Land neu zu positionieren, daß die Zukunft offen ist, läßt das Interesse wachsen. Daher die neue Aufmerksamkeit für den Putsch im Niger.