Ausland16. Oktober 2024

Zeugen beseitigen

Israels Kriegführung gegen die Palästinenser und den Libanon. Fortgesetzte Angriffe auf UNO-Soldaten

von Karin Leukefeld

Die Bewohner des Südlibanon erinnern sich an die Massaker in Qana. 1996 wurden 106 Menschen getötet und 116 wurden verletzt. 2006 starben 28 Menschen, darunter 16 Kinder und acht Personen wurden verletzt. Qana liegt rund 10 Kilometer südöstlich von Tyros, die »Blaue Linie« im Süden ist etwa 20 Kilometer entfernt. Gräber und Gedenktafeln erinnern in dem kleinen Ort daran, daß Israel der Täter war und der Tatort war ein Stützpunkt der UNO-Waffenstillstandsmission UNIFIL. In beiden Fällen hatten die UNIFIL-Soldaten die israelische Armee informiert über die Flüchtlinge auf ihrem Gelände, in beiden Fällen wurden die UNO-Gebäude dennoch bombardiert.

Man sei von Kämpfern der Hisbollah angegriffen worden, die sich direkt neben dem Gelände verschanzt hätten, hieß es in beiden Fällen von Seiten der israelischen Armeeführung. In beiden Fällen zeigten Video- und Filmaufnahmen, daß kurz vor der Bombardierung des UNO-Gebäudes in Qana Drohnen und Aufklärungsflugzeuge über das Gelände gekurvt waren. Und niemand griff sie an. In beiden Fällen wurden in dem zerstörten Gebäude viele Leichen, aber keine einzige Waffe gefunden, berichten übereinstimmend Journalisten verschiedener in und ausländischer Medien vom Ort des Geschehens.

Panzer gegen UNIFIL

Seit einer Woche versuchen nun israelische Truppen, die UNO-Blauhelme offenbar völlig aus dem Weg zu räumen. Sie böten Schutz für die Hisbollah, die neben den UNIFIL-Stellungen eingegraben sei und von dort feuere, sie also als Schutzschild benutze, wird von israelischer Seite behauptet. Sie sollten ihre Positionen verschieben, wurde das Oberkommando der UNIFIL in Nakura aufgefordert.

Als das nicht geschah, feuerte ein israelischer Panzer am Donnerstag auf einen UNIFIL-Wachturm und verletzte zwei indonesische Soldaten. Am Freitag wurde das UNIFIL-Hauptquartier von Explosionen erschüttert, zwei Blauhelmsoldaten wurden verletzt. Israelische Bulldozer versuchten, die Schutzwände um die UNO-Stellung einzureißen, doch, so die offizielle Erklärung, »die UNO-Friedenswächter hielten die Stellung und riefen Verstärkung«.

Wiederholt haben israelische Soldaten in den letzten Tagen UNIFIL Stellungen entlang der »Blauen Linie« absichtlich beschossen, heißt es in einer UNIFIL-Erklärung. Man erinnere die israelische Armee daran, daß das Verhalten eine Verletzung des internationalen Rechts darstelle. Als Benjamin Netanjahu sich noch persönlich per Fernsehen an die UNO und an deren Generalsekretär wandte, erhielt er eine Abfuhr. Die UNIFIL-Truppen würden bleiben, hieß es aus New York. Ihr Auftrag ist die Sicherung der »Blauen Linie« und dafür zu sorgen, daß israelische Truppen nicht wieder in den Libanon eindringen. UNIFIL beobachtet und dokumentiert das Geschehen, um es dem UNO-Sicherheitsrat zu melden. UNIFIL soll die Lage entschärfen, um Krieg zu vermeiden. Im besten Fall sollen die Kräfte beider Seiten an den Verhandlungstisch gebracht werden.

Erinnerung an Syrien 2013

Bei den UNO-Blauhelmen dürften sich manche noch an das Jahr 2013 erinnern. Damals kamen die UNO-Friedenstruppen auf den syrischen Golanhöhen, UNDOF, unter Beschuß von Terroristen des Al-Qaida-Ablegers in Syrien, der Nusra Front. Die rückten in der von UNDOF kontrollierten Pufferzone von Süden vor, überfielen und bedrohten Blauhelm-Patrouillen und stahlen UNO-Fahrzeuge. Sie belagerten einen UNO-Stützpunkt der philippinischen Blauhelme, die sich verteidigten, bis ihr Abzug ausgehandelt war.

Augenzeugen berichteten, daß die vorrückenden Terroristen vom Westen der Pufferzone, aus den Gebieten der von Israel besetzten und annektierten syrischen Golanhöhen unterstützt worden seien. Dieser Teil der Golanhöhen ist mit Lauschposten, Radaranlagen, Militärbasen und Militärflughäfen gespickt. Von dort überwacht Israel die syrische Bevölkerung in ihrem eigenen Land, von dort wird Syrien bombardiert.

UNDOF mußte sich 2014 unter dem Druck der »syrischen Rebellen« von der Mission zurückziehen. Die »syrischen Rebellen« der Nusra Front alias Al Qaida Syrien alias Hayat Tahrir al Sham (HTS) kontrollieren heute die syrische Provinz Idlib – mit stiller bis wohlwollender Billigung des Westens. Die Blauhelme von UNDOF, die Augenzeugen, die das Geschehen dokumentierten, waren beseitigt.

Ein Lastwagen voller Leichen

Das Vorgehen Israels gegen die UNIFIL-Truppen folgt dem gleichen Muster, nach dem Zeugen der israelischen Kriegsführung in Gaza, im Westjordanland und gegen den Libanon beseitigt werden. Seit Beginn des Krieges gegen Gaza wurden Journalisten, Ärzte und medizinisches Personal, Mitarbeiter der UNO-Organisation für die Unterstützung der palästinensischen Flüchtlinge (UNRWA) getötet. UNRWA-Schulen, Flüchtlingsunterkünfte, Kliniken, Warenlager und Büros werden von der israelischen Armee bis heute bombardiert, nachdem sie von der israelischen Armee zuvor zu »Kommandozentralen der Hamas« deklariert wurden.

Rettungssanitäter, Feuerwehrleute werden getötet – wer immer auch sieht, wie die israelische Armee im Krieg gegen Gaza vorgeht und darüber Zeugnis ablegt, wird beseitigt. Selbst gefangene und verschleppte Palästinenser sollen nicht berichten, wie es ihnen dort, wohin sie in Israel gebracht wurden, ergangen ist.

Am 25. September schickte Israel einen Lastwagen an die Gesundheitsbehörde in Gaza. Im Container des Fahrzeugs befanden sich Leichen von 88 Personen, die bereits so sehr verwest waren, daß sie nicht mehr identifiziert werden konnten. Es gab keine Information über die Toten, keine Namen, kein Datum, wann oder wo sie getötet worden waren.