Eng mat all Wäiwaasser geseent Marielys Flammang
Da kann sich der humorloseste Teufelsanwalt aus den Kellern des Vatikans nur kaputtlachen, wie es ein buchstäblich (das heißt nicht bildlich) mit allen Weihwassern gewaschenes luxemburger (das heißt köricher) Bauermädchen fertigbringt ikonoklastischer zu schreiben als ein Roland Gelhausen. Ich spreche natürlich von Marienland ouni Filter.(1) Denn gerade in ein Gott- Pfarrer- Dekan- Kaplan- und- Nonnengesegnetes Dorf namens Körich oder Käerch inmitten unseres Marienländchens geht es hier. Wobei es die immerlachende und freundliche ehemalige »petite fille à tout faire«, dann Klosterkandidatin, später Schullehrerin, Hausmutter, Schriftstellerin und trotz alldem noch gute Christin Marielys ihren begeisterten Fans sicher verzeiht, dass sie ihr nach Lesen dieser Kindheitsautobiographie den Heiligenschein noch ein Zeitchen vorenthalten.
Es würde mich auch nicht wundern, wenn eine weite Verbreitung dieses Buches den Direktor der Éditions Saint Paul nötigte, ascheüberstreut im Büßergewand zur Erzdiözese zu pilgern. Da könnte es aus den Levitenträchtigen Eislecker Wolken via irdischem Vertreter so in etwa herunterdonnern: »Wie ist es möglich, dass du solchen Unbill veröffentlichst, wie Kinderzeugung dank Velounfällen, dreijährige Mädchen, die sich in Kriegsgefangenen, verlieben, zerbrochene Milchkannen, die mit Kochkäse verleimt wieder zusammenhalten, und noch Schlimmeres? Abgesehen von der gottlosen Unmöglichkeit dieser Ereignisse, denk doch an die kinderlosen Paare, die es mit Veloakrobatik versuchen werden, und auch an die Männer, die sich vor kleinen Mädchen nicht mehr sicher fühlen. Und was geschieht wenn armselige Chemiekonzerne wie Henkel, Collano oder Forbo Adhesives wegen dem Käercher Kachkéis Pleite gehen?«
Doch nicht nur Erzbischöfen mit GSM-Verbindung zum Himmel, sondern auch kleinen laizistischen Rezensenten, kommt ein Buchtitel wie Marieleys’ »Bilder aus den Zwischenräumen« nicht unbedingt geheuer vor.(2) Denkt einer doch direkt an X-files oder Sonstiges aus von Dänekens Zauberkiste. Schrieb ich nicht schon damals über Marielys Flammangs Surrealismus, dass man sich stets fragen muß, inwieweit sie auf Übernatürliches zurückgreift, oder vielmehr auf psychologisch erklärliches subjektives Empfinden?
Na ja, Gott und Marielys sei dank haben wir’s im heutigen »Mat all Wäiwaasser geseent«(3) leichter. Da finden wir nichts Abstraktes, weder echte noch Parapsychologie, und schizophren sind höchstens des Mädchens bistumsbeauftragte Dorf-, Internat- oder Scholastikschulerzieher. Einfacher ist das Buch auch, sozusagen, im Sinne des Konkreten, Realistischen. Ganz anders sieht es jedoch aus für den eingebürgerten Rezensenten, der kaum Umgangsluxemburgisch beherrscht, sich jedoch hier durch die raffiniert bunte Vielfalt mundsprachiger Eigenarten der Köricher, das heißt Käercher Mundart schlagen musste. Oder ist es doch größtenteils ganz normales Luxemburgisch? Möglich. Doch habe ich in fünfundvierzig Jahre hiesigem Leben noch nie so viele mir unbekannte Wörter auf einmal gelesen, so dass ich annehmen darf, die meisten werden wohl selten gebraucht. Da sollen jene, die behaupten, wir hätten eine arme Sprache, diese voll ausnutzen, anstatt kommod in Germanismen, Gallizismen und Anglizismen zu flüchten!
Köstlich war’s allemal. Marielys’ Sprache ist so unwahrscheinlich malerisch und aussagekräftig, dass der eingebürgerte Ex-Italiener, oder sonst der Nicht-Köricher, ihm sogar unbekannte Worte und Ausdrücke versteht. Immerhin war ich froh, das kleine Meisterwerk während der langen Walfer-Bicherdeeg-Stunden zu lesen. Da konnte mir nämlich Marielys, die unweit von meinem Stand ihre Story einer kleinen, nicht gerade begeisterten Kirchenmaus wie warme Semmeln verkaufte, mit Rat und Wort beistehen. So regten mich zwei Tage lang witzige Vorfälle sowie Binsen-, Kinder- und Bauernweisheiten zu tiefgründigem Denken und herzlichem Lachen an. Beispiel: »Frarosendag« ist kein Tag an dem man Frauen Rosen anbietet, ganz im Gegenteil, da regnet’s höchstens Stacheln.
So erklärt Marielys in einem der flottesten Kapiteln des Buches (S. 92-95) wie an dem Tag die Frau »mengt, si misst d’ganz Haus d’ënnescht an d’iewescht kéieren an dem Dreck op de Pelz réckelen (...) D’Fra wees nit, wou de Kap hir steet, well si sech iwert der Botz nach Gedanke wéint dem Kiermes- oder dem Ouschterkascht muss maachen. / Fir déi aner Leit am Haus (...) eng Schmod. Egal wou se ginn a stinn, hënnere se. Wa se sech dann ewechmaachen fir der Hausfra nit an de Féiss ze stouen, dann as dat och net geroden, well knapps si se fort, da géife se néideg gebraucht...«
Ein paar Seiten weiter gibt Klein-Marielys zu, die Toten sowie die Kranken zu beneiden: »Déi Doudeg hun et einfach. Déi kënnen näischt verkéiert maachen. Déi gin an den Himmel gehueven, och wann se schon am Himmel sin. Déi Krank sin och gutt drun. Déi gi gesound gepléischtert a versuergt a gelueft, alles fir näischt...« Als nicht gerade beneidenswert, beschreibt die Autorin die Scholastikschule wo z. B. Schwester E.(4) »stonnelaang iwer Fräiheet pallavert, Fräiheet fir eppes, Fräiheet vun eppes, Fräiheet ze soen, wat een déinkt, ënner Fräiheet, außer Fräiheet, Wellensfräiheet...«
Als Marielys während dem Wochenende zum Köricher Kirmesball kommentiert »Ech hu bis dräi Auer nuets gedanzt wéi Fatz um Bengel...« dann »Ech gouf bei d’Schwester E. geruff (...) Si sot, danze goue géing ee fir e Mann ze sichen (...) an (huet) ugefaangen d’Männer erafzeman…« Als das Mädchen jedoch erwidert, die Männer, die sie gut kenne, wären Papa und Willi (der Kriegsgefangene von damals), und die wären doch ganz lieb, sagt Schwester E., mit denen wäre Marielys ja nicht verheiratet: »Da kéint ech dat net jugéieren. D’Schwester E. war jo selver nit mat hinne bestuet, also konnt si dat och net jugéieren. Meng Mamm war awer mat mengem Papp bestuet, a si war ganz frou mat him. Ech hunn dat nit gesot...«
Hier hielt die Maid allerdings den Mund, doch dauerte es nicht lange, bis sie herausbekam, wie es mit der christlichen Allroundfreiheit stand: »Nuets hunn ech vun engem Tunnel gedreemt, dien ëmmer méi éink ginn ass, bis ech dra stieche bliwe sinn. Wéi den Dram ëmmer erëmkoum as, woousst ech, dat den Tunnel d’Klouschter wier.« Aus dem Tunnel brach die 1942 in Körich geborene Marielys bald über dem Fieldgen aus, wo sie sich von den Schwestern nicht mehr beeindrucken ließ und kein Blatt vor den Mund nahm. Jene Zwischenetappe überlebte sie also auch, wurde Schullehrerin zu Steinfort, blieb es 37 Jahre lang, heiratete dazwischen, bekam zwei Kinder, sah zahlreiche ihrer Kurzgeschichten in der Luxemburger Presse und in Kulturrevuen erscheinen, schrieb für den Steinforter Theater und für den Bauerekalenner 2000. Heute bringt sie uns ein unumgänglich lustiges Erlebnisbuch dem sich niemand hierzulande entziehen darf. Leser ahoi!
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1) Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek: meine Rezension vom 10.11.2005
2) Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek: meine Rezension vom 6.12.2005
3) Mat all Wäiwaaser geseent, 142 Seiten, Éditions Saint Paul, 19,90 EUR
4) Darf man annehmen E. lebt noch? Andere Schwester denen vielleicht das unsagbare Glück zuteil ward, in den Himmel zu kommen und somit nichts mehr verkehrt machen können, nennt ja Marielys bei Vornamen.
Giulio-Enrico Pisani