Hunger als Waffe
Die EU verhindert weiterhin die Belieferung Afrikas mit russischen Düngemitteln. UNO warnt vor Hunger
Die EU verhindert mit ihren Sanktionen trotz gegenteiliger Behauptungen immer noch die Belieferung vor allem afrikanischer Länder mit dringend benötigten russischen Düngemitteln. Hinzu kommt, daß die UNO Gespräche über die Wiederöffnung einer blockierten Pipeline, die russisches Ammoniak durch die Ukraine leitet, ohne Termin vertagen mußte. Die UNO warnt, das Fehlen von Dünger verursache Ernteausfälle, die zu Hungersnöten führen können.
Die Folgen der Sanktionen
Die maßgebliche Ursache des derzeitigen Düngermangels in Afrika ist das undurchsichtige Geflecht der EU-Sanktionen gegen Rußland, einen der größten Düngemittelproduzenten der Welt. Die Sanktionen sparen zwar der Form halber Düngemittellieferungen an afrikanische Staaten aus. Das nützt aber nicht viel, da die Sanktionen gegen die russischen Finanz- und Transportbranchen Lieferung und Bezahlung erschweren oder gar völlig unmöglich machen.
Hinzu kommen Sanktionen gegen russische Milliardäre, die in der Branche ihren Reichtum verdienen. Die EU hat im Dezember in Reaktion auf den zunehmenden Protest aus Afrika ihren Mitgliedstaaten die Option eröffnet, die Sanktionen gegen sechs russische Milliardäre abzuschwächen, um die Düngemittellieferungen an afrikanische Staaten endlich wieder in Gang zu bringen (ZLV, 5.1.23). Zuvor hatte es darum heftigen Streit gegeben; vor allem Polen und die baltischen Staaten hatten sich grundsätzlich gegen jegliche Erleichterung gesperrt und dem Machtkampf gegen Rußland klar Vorrang vor dem Kampf gegen drohende Hungersnöte in Afrika eingeräumt.
In EU-Häfen festgesetzt
Nun geht jedoch aus Berichten hervor, daß die stolz verkündeten Sanktionserleichterungen unzureichend sind und russische Düngemittel immer noch nicht in ausreichendem Maß nach Afrika gelangen. Zwar ist – nach mehrmaliger Verzögerung – am Neujahrswochenende eine erste Düngemittellieferung von 20.000 Tonnen im Hafen von Beira in Mosambik eingetroffen, von wo aus sie weiter nach Malawi transportiert werden soll; dort dürfte sie in einigen Wochen eintreffen. Sie deckt drei Prozent des malawischen Jahresbedarfs.
Sie entstammt einer deutlich größeren Menge russischer Düngemittel, die wegen der Sanktionen in diversen Häfen Europas festgesetzt worden waren und dort nutzlos lagerten, während in Afrika Mangel herrschte. Die EU bzw. ihre Mitgliedstaaten haben sie auch jetzt lediglich im Rahmen eines speziellen Programms freigegeben, bei dem die russischen Produzenten den Dünger ausgewählten afrikanischen Staaten spenden. Insgesamt handelt es sich um ungefähr 260.000 Tonnen. Sogar ihre Lieferung verzögert sich wegen der europäischen Blockaden. Obwohl sie bereits im November beschlossen wurde, kommt die erste Teillieferung erst nächsten Monat in Malawi an.
Darüber hinaus werden weiterhin Düngemittellieferungen in wohl erheblichem Umfang durch die EU-Sanktionen verhindert. Wie Ende Dezember bekannt wurde, berichtet Andrej Melnitschenko, ein russischer Milliardär, der bis vor kurzem den Düngemittelhersteller Eurochem kontrollierte, mit ihren angeblichen Erleichterungen für Düngerlieferungen habe die EU zwar faktisch eingestanden, daß ihre Sanktionen mitverantwortlich für die aktuellen Probleme in der Nahrungsmittelversorgung seien. Allerdings verbesserten ihre Maßnahmen die Lage nicht wirklich, sie verkomplizierten sie sogar noch.
Demnach hat Eurochem weiterhin ernste Schwierigkeiten damit, seinen Handel mit Düngemitteln in Gang zu bekommen. Nicht geholfen hat, daß Melnitschenko, auf der Bloomberg-Milliardärsliste zur Zeit auf Rang 134, zwei Plätze hinter dem süddeutschen Schraubenmagnaten Reinhold Würth, seine Kontrolle über Eurochem an seine Ehefrau weitergegeben und sich selbst aller Form nach zurückgezogen hat: Die EU hat inzwischen auch seine Ehefrau mit Sanktionen belegt. Damit ist Eurochem weiterhin kaum geschäftsfähig; die Düngemittelexporte kommen nicht vom Fleck.
Verlierer: Afrika
Um welche Größenordnung es sich bei den ausgebliebenen russischen Lieferungen handelt, läßt ein Blick auf die russische Exportstatistik des vergangenen Jahres erahnen. Demnach ging die Ausfuhr russischer Düngemittel sanktionsbedingt um rund 15 Prozent auf gut 31,6 Millionen Tonnen zurück. Zwischenzeitlich war in Moskau mit noch deutlich größeren Ausfällen gerechnet worden; dies konnte verhindert werden. Grund dafür war etwa eine Steigerung der Düngemittelausfuhr nach Indien, die die Einbußen im Export in die Länder Europas beinahe ausgleichen konnte; sie war möglich, weil der russisch-indische Handel zunehmend ohne Rückgriff auf die westliche Finanz- und Transportbranche auskommt.
Die Lieferungen in Länder des Nahen und Mittleren Ostens – Rußland zählt auch die Türkei dazu – nahmen aus demselben Grund ebenfalls zu.
Schlechte Karten hatten allerdings die in Sachen Finanz- und Transportinfrastruktur schlechter aufgestellten Staaten Afrikas. Hinzu kommt, daß riesige Mengen russischer Düngemittel und Rohstoffe in Frachtern in fremden Häfen festsaßen. Russische Stellen bezifferten die Menge im August auf sieben bis acht Millionen Tonnen. Wieviel davon inzwischen freigestellt wurde, ist unbekannt.
Zweierlei Pipelines
Zusätzlich zu den Schiffs- sind auch russische Pipelinelieferungen von Ammoniak blockiert worden; Ammoniak ist ein wichtiger Ausgangsstoff für die Düngemittelproduktion. Er wird seit vielen Jahren unter anderem durch eine Pipeline aus der russischen Stadt Togliatti, wo mit Togliatti Azot einer der größten Ammoniakproduzenten der Welt ansässig ist, in die ukrainische Hafenstadt Odessa geleitet und dort verschifft. Die Ukraine stoppte die Nutzung der Pipeline unmittelbar am 24. Februar.
Das ist deshalb bemerkenswert, weil Kiew den Erdgastransport aus Rußland in die EU nicht unterbindet und weiter Transportgebühren aus Rußland kassiert. Offenbar besteht aus ukrainischer Sicht ein Unterschied zwischen der EU und ihrem Erdgas- sowie ärmeren Staaten und ihrem Ammoniakbedarf; Letzterer gilt der ukrainischen Regierung wohl als weniger wichtig.
Die UNO bemüht sich, Kiew zur Freigabe der Pipeline zu bewegen, mußten entsprechende Verhandlungen aber Mitte Dezember ohne Angabe eines neuen Gesprächstermins vertagen. Es geht um Mengen von bis zu 2,5 Millionen Tonnen Ammoniak pro Jahr.
Hunger als Waffe
Daß nicht nur die EU, sondern insbesondere auch deutsche Politiker nicht zögern, Mittel zur Nahrungsproduktion und sogar Nahrung selbst als Druckmittel – im Sprachgebrauch Berlins: als Waffe – einzusetzen, zeigt eine Äußerung von Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen), dem Vorsitzenden des Bundestagsausschusses für die Angelegenheiten der EU. Hofreiter sagte Mitte Dezember zu der Frage, wie Berlin reagieren könne, sollte China einmal damit drohen, keine Seltenen Erden mehr zu liefern: »Wenn uns ein Land Seltene Erden vorenthalten würde, könnten wir entgegnen: ‚Was wollt ihr eigentlich essen?‘« Damit ist die Option, in ernsten Handelskonflikten mit dem Aushungern zu drohen, auf dem Tisch. China muss Lebensmittel importieren – auch aus Deutschland.