Leitartikel13. Juni 2024

Seit 80 Jahren ungesühnt

von

»Der Geruch war unerträglich. Im Dorf selbst brannte noch Feuer in dem Rest der verbrannten Häuser. Auf der Erde lagen zerstreut hunderte Menschen jeden Alters, von Greisen bis Säuglingen. Vielen Frauen haben die Soldaten den Bauch mit den Bajonetten zerschnitten und die Brust herausgerissen. Andere lagen gewürgt, umwickelt mit ihren Gedärmen um ihren Hals.«

So beschrieb der schwedische Diplomat Sture Linnér, der damals Präsident des Roten Kreuzes im von den Hitlerfaschisten besetzten Griechenland war, später das vor 80 Jahren von SS-Angehörigen im zentralgriechischen Distomo begangene Massaker.

Mit dem heraufziehenden Ende der faschistischen Okkupation durch die militärischen Niederlagen der Truppen der Achsenmächte an gleich mehreren Frontabschnitten verstärkte sich der Partisanenkampf in vielen Ländern Europas. In Griechenland waren es die Kämpfer der ELAS, des militärischen Arms der Nationalen Befreiungsfront EAM, die mit ihren Aktionen einen wichtigen Beitrag zur Befreiung ihres Landes leisteten.

Auf diesen bewaffneten Widerstand reagierten die Besatzer bei der sogenannten Bandenbekämpfung mit wachsendem Terror. Wurden deutsche Truppen oder Einrichtungen angegriffen, fanden immer brutalere »Vergeltungsmaßnahmen«, willkürliche Geiselnahmen und Exekutionen statt, bis hin zur Zerstörung ganzer Dörfer und zu Massenerschießungen.

Als am 10. Juni 1944 eine SS-Einheit, die zur Partisanenbekämpfung eingesetzt war, in der Nähe von Distomo in ein Gefecht verwickelt wurde und sechs SS-Männer getötet wurden, richteten die Nazis ein grausames Massaker an. Unter dem Kommando von SS-Hauptsturmführer Fritz Lautenbach überfielen Soldaten der SS das kleine, nur wenige hundert Einwohner zählende Dorf am Fuß des Parnass.

Sie ermordeten – vom Säugling bis zum Greis – unterschiedslos alle Einwohner, die sie antrafen, und verwüsteten das Dorf. 218 Menschen fielen dem Massaker zum Opfer. Nur wenige der von der SS in Distomo angetroffenen Bewohner haben in Verstecken oder, wie der damals dreijährige Argyris Sfountouris, dessen Eltern und 30 weitere Familienangehörige ermordet wurden, durch Zufall überlebt. Über ihn drehte der Schweizer Filmemacher Stefan Haupt den eindrucksvollen und mehrfach ausgezeichneten Dokumentarfilm »Ein Lied für Argyris«.

Tatsächlich wurde von der bundesdeutschen Justiz kein einziger der Täter verurteilt. Einer von ihnen, ein gewisser Hans Zampel, wurde zwar nach der Befreiung in Frankreich verhaftet und an die griechischen Strafverfolgungsbehörden ausgeliefert. Während seines Prozesses wurde er jedoch »zu Ermittlungen« nach Westdeutschland überstellt, wo er – wie in der BRD ganz im Gegensatz zur DDR üblich – ohne jede Verurteilung blieb.

Schlimmer noch, der Bundesgerichtshof, das oberste BRD-Gericht, erkannte vor über 20 Jahren zwar an, daß in Distomo eines der »abscheulichsten Kriegsverbrechen« des Zweiten Weltkriegs begangen wurde, das Massaker sei jedoch »eine Maßnahme im Rahmen der Kriegführung« gewesen, weshalb den Opfern keine Entschädigung zustünde.

Tatsächlich ist bis heute keine BRD-Regierung, ganz egal in welcher Zusammensetzung, bereit, den gerechten und ausführlich begründeten Forderungen des griechischen Volkes nach Entschädigung der Opfer deutscher Kriegsverbrechen nachzukommen. Offenbar setzt man auf die biologische Lösung. Selbst Argyris Sfountouris wird im September 84.