Kein Interesse an Aufklärung
Informationen über Anschläge auf Nord-Stream-Pipelines »unterliegen der Geheimhaltung«
Eisernes Schweigen: Das ist gewöhnlich die Antwort der deutschen Bundesregierung, wenn sie nach den Anschlägen gefragt wird, die am 26. September die Erdgaspipelines Nord Stream 1 und 2 zerstörten. Jüngstes Beispiel: die Frage der Bundestagsabgeordneten Sahra Wagenknecht (Die Linke), die sich kürzlich nach zwei auffälligen »Dark ships« (bzw. »dunklen Schiffen«) erkundigt hatte.
Über die beiden großen Schiffe hatte am 11. November der britische Ableger des USA-Magazins »Wired« berichtet. Sie hatten sich in den Tagen unmittelbar vor den Anschlägen – kommerzielle Satellitenaufnahmen belegen es – in großer Nähe zu den Anschlagsorten befunden und dabei ihre Transponder ausgeschaltet. Letzteres tut man gewöhnlich, wenn man etwas zu verbergen hat. Waren das vielleicht russische Schiffe? War das jetzt endlich der rauchende Colt, der eine russische Täterschaft wenn nicht bewies, so doch wenigstens nahelegte?
Wohl kaum. Hinweise auf russische Schiffe zur fraglichen Zeit in der fraglichen Gegend hat bisher noch nicht einmal die NATO präsentiert, zu deren Hauptaufgaben in der Ostsee doch gegenwärtig die Aufklärung über russische Schiffsbewegungen gehört. Aber: Schwedische Medien hatten schon wenige Tage nach den Anschlägen berichtet, zwei Schiffe der schwedischen Marine hätten sich, vermutlich von der südschwedischen Marinebasis Karlskrona kommend, der größten des Landes, kurz vor dem Tatzeitpunkt nahe dem Tatort aufgehalten. Letzteres hat die schwedische Marine sogar bestätigt; sie gab als Ursache für die Schiffsbewegungen Maßnahmen der Seeraumüberwachung an.
Nein, es gibt bislang keinerlei Beleg für die Spekulation, eines der schwedischen Schiffe oder gar beide hätten womöglich andere, klandestine Aktivitäten unweit des Tatorts durchgeführt. Andererseits läßt sich auch nicht behaupten, die angebliche Seeraumüberwachung habe zur Aufdeckung der Tat oder doch zumindest im nachhinein zur Identifizierung der Täter geführt.
Und die Bundesregierung, von Wagenknecht nach ihren Erkenntnissen zu den merkwürdigen »Dark ships« befragt? Wie immer herrscht Stillschweigen. Das Recht des Bundestages, Informationen zu diesen doch nicht ganz unwichtigen Fragen zu erhalten, stehe »hinter dem berechtigten Geheimhaltungsinteresse zum Schutz der laufenden Ermittlungen« zurück, erklärte sie laut »Berliner Zeitung«. Genauere Hinweise gegenüber dem Parlament könnten »weitergehende Ermittlungsmaßnahmen« unter Umständen »erschweren oder gar vereiteln«.
Die deutsche Regierung, die schon lange vor dem Ukraine-Krieg jede Gelegenheit genutzt hat, um Rußland – meist völlig ohne Beleg – bei jeder Gelegenheit allerlei Vergehen und Verbrechen vorzuwerfen, hält sich, mitten im Krieg, mit Vorwürfen zurück und schützt urplötzlich penibelste Sorgfalt vor. Auch das ist freilich eine Information.
Unabhängig davon hat die kanadische Regierung am Mittwoch vergangener Woche angekündigt, sie werde eine Ausnahme von ihren Rußland-Sanktionen widerrufen: die Ausnahme, mit der sie es Siemens gestattet hatte, eine in Montreal reparierte Turbine wieder in Nord Stream 1 einzubauen. Dies wird jetzt nicht mehr möglich sein.
Zwar hat Moskau immer noch nicht entschieden, ob die Nord-Stream-Pipelines repariert werden sollen – aber man weiß ja nie. Ohne die Turbine schrumpft die ohnehin extrem geringe Chance, Berlin könne bei einem etwaigen krassen Erdgasmangel in diesem oder im nächsten Winter doch noch auf die Nord-Stream-Pipelines zurückgreifen wollen, faktisch auf Null.