Netanjahu will Kriegsbündnis gegen Iran
Die Entwicklungen im Nahen und Mittleren Osten waren in der vergangenen Woche weitgehend von dem Auftritt Netanjahus im Washington überschattet. Im Libanon gingen die gegenseitigen Angriffe zwischen den israelischen Streitkräften und der libanesischen Hisbollah weiter. Öltanks und ein Elektrizitätswerk in der jemenitische Hafenstadt Houdeidah wurden von israelischen Kampfjets bombardiert. Der syrische Präsident Baschar al-Assad reiste zu einem Arbeitsbesuch nach Moskau. Der Irak bereitet sich auf einen »Sicherheitsgipfel« mit den USA vor, auf dem Bagdad den Abzug aller USA-Truppen und der von den USA geführten Militärkoalition aus dem Irak bis September 2025 fordern will. 14 palästinensische Organisationen, einschließlich Hamas und Fatah, einigten sich derweil in China auf eine Regierung der Versöhnung.
Israel eskaliert weiter
Die israelische Knesset stimmte am 18. Juli mehrheitlich mit 68 Stimmen gegen die Errichtung eines Staates Palästina, weil ein solcher Staat »eine existenzielle Gefahr für den Staat Israel« darstelle. Lediglich neun der insgesamt 120 Knesset-Abgeordneten lehnten die Entscheidung ab, die anderen enthielten sich.
Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat am 19. Juli die israelische Besatzung für illegal erklärt. Israel sei verpflichtet, Geschädigten Wiedergutmachung zu zahlen, alle Siedler müßten die bestehenden (illegalen) Siedlungen verlassen. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wies die Entscheidung zurück und erklärte, Israel könne nicht »Besatzungsmacht auf eigenem Grund und Boden« sein.
Im Gazastreifen hat die israelische Armee derweil ihre Luft- und Bodenattacken gegen von ihr selbst markierte »sichere Zonen« ausgeweitet und intensiviert, die Zahl der getöteten Palästinenser in dem weitgehend zerstörten Küstenstreifen stieg auf mindestens 39.175 (Stand 26.07.2024).
Im besetzten Westjordanland weitete Israel seit Beginn des jüngsten Gazakrieges im Oktober die Annexion von palästinensischem Boden durch 25 illegale Siedler-Außenposten aus. Das hat die israelische Organisation Peace Now Israel in einem Bericht dokumentiert. Alle Außenposten sollen zu Siedlungen entwickelt werden. Bezalel Smotrich, rechtsextremer Minister für Nationale Sicherheit im Netanjahu-Kabinett, hat Ministerien und Behörden angewiesen, Gelder für insgesamt 70 (illegale) Außenposten zur Verfügung zu stellen. Mit dem Geld sollen öffentliche Gebäude, die Wasser- und Stromversorgung und weitere Infrastruktur in den Siedlungen finanziert werden.
Um die illegalen Siedlerstrukturen zu errichten, hat Israel 1.205 Häuser und Gebäude palästinensischer Familien abreißen lassen, mehr als 2.500 Menschen verloren ihre Wohnungen. 178 der abgerissenen Gebäude standen in Ostjerusalem, 1.027 Gebäude in den besetzten palästinensischen Gebieten im Westjordanland.
Netanjahu in Washington
Der Rede Netanjahus vor beiden Kammern des USA-Kongresses blieben 90 Abgeordnete und mehrere Senatoren fern. Fotos zeigten eine Abgeordnete, die einen Palästinenserschal trug und ein Schild mit der Aufschrift »Kriegsverbrecher« dem israelischen Premier entgegenhielt. Nancy Pelosi, langjährige Sprecherin des Repräsentantenhauses, blieb ebenso wie die Vizepräsidentin und Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris und der Mehrheitssprecher Whip Dick Durbin dem Auftritt Netanjahus fern. Pelosi traf sich mit Familienangehörigen der israelischen Geiseln und nannte die Rede Netanjahus »den schlechtesten Vortrag, den je ein ausländischer Würdenträger« dort abgeliefert habe. Die Familien der Geiseln forderten einen Waffenstillstand, damit ihre Angehörigen nach Hause kommen könnten, doch Netanjahu habe nichts darüber gesagt, wie er das erreichen wolle, kritisierte Pelosi.
»Unsere Feinde sind eure Feinde, unser Kampf ist euer Kampf, unsere Siege werden eure Siege sein«, rief Netanjahu einem Publikum zu, das ihm reichlich Applaus zollte. Er wisse, »daß Amerika hinter uns steht«.
Für die Zeit nach dem Gazakrieg werde Israel den Gazastreifen weiter militärisch kontrollieren, so Netanjahu. Nur Israel könne sicherstellen, daß »der Terror sich nicht wieder ausbreitet und Gaza nicht erneut eine Bedrohung für Israel wird«.
Am Tag vor der Rede war der Kongreß von 300 Gegnern des Gazakrieges besetzt worden, die im Empfangsbereich einen Sitzstreik durchführten. Organisiert worden war der Protest von der Gruppe »Jüdische Stimme für Frieden«, die Protestierenden trugen rote T-Shirts mit dem Slogan »Nicht in unserem Namen«. Auf Transparenten stand »Keine Waffen für Israel« und »Waffenstillstand jetzt«. Die Demonstranten wurden festgenommen. Während Netanjahu dann am Mittwoch seinen Auftritt im Kongreß hatte, demonstrierten vor dem Gebäudekomplex Tausende gegen den israelischen Premier. Der ging nur am Rande auf die Demonstranten ein und nannte sie »nützliche Idioten des Iran«.
Ein Schwerpunkt seiner Rede war der Aufruf, gemeinsam gegen den Iran zu kämpfen. Die USA und Israel könnten »eine Sicherheitsallianz im Nahen Osten schmieden, um der wachsenden iranischen Bedrohung zu begegnen«. So könne man gemeinsam »den radikalsten und mörderischsten Feind der Vereinigten Staaten« bekämpfen, behauptete Netanjahu. Der Iran sei »für die ganze Welt eine Bedrohung«. Mit einem »Sicherheitsbündnis« der USA mit Israel könnten die Errungenschaften des »Abraham-Abkommens« in ein militärisches Bündnis ausgeweitet werden. Ein solches, der NATO ähnliches, Militärbündnis könne man »Abraham Allianz« nennen, schlug Netanjahu vor.
Am Donnerstag und Freitag traf Netanjahu in Washington mit dem scheidenden USA-Präsidenten Joe Biden, mit Präsidentschaftskandidatin Kamela Harris und mit dem Präsidentschaftskandidaten der Republikanischen Partei Donald Trump zusammen. Der Präsidentschaftswahlkampf in den USA überschattet auch die Verhandlungsbemühungen mit der Hamas, um einen Waffenstillstand und einen Gefangenenaustausch zu erreichen. Netanjahu, der in Israel von 72 Prozent der Bevölkerung abgelehnt und zum Rücktritt aufgefordert wird, versucht die Übergangsphase mit unklarem Ausgang in Washington zu nutzen, um die Vernichtungspläne gegen die Palästinenser im Gazastreifen und im besetzten Westjordanland fortzusetzen.
Assad und Putin in Moskau
In Moskau kamen am Mittwoch der syrische Präsident Baschar al-Assad und der russische Präsident Wladimir Putin zu einem Arbeitstreffen zusammen. Dabei ging es laut einer in Moskau veröffentlichten Erklärung um die zunehmende Verschärfung der Situation in der Region um Syrien, sowie um die weitere wirtschaftliche Zusammenarbeit beider Staaten. Beide Politiker waren offensichtlich bemüht, keine weiteren Details ihrer Besprechung zu benennen und sprachen lediglich davon, daß es »viele Probleme« (Putin) zu besprechen gebe, daß es »äußerst schwierige Herausforderungen« (Assad) gebe, die Beziehungen zwischen beiden Länder ein »vertrauensvolles Niveau« (Assad) behalten hätten. Auch die Entwicklungen »in Eurasien und weltweit« (Assad) seien auf der Tagesordnung.
Als Anlaß für den Besuch war der 80. Jahrestag der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Rußland und Syrien gewählt worden. Angaben, ob Assad von einer Ministerdelegation begleitet wurde, gab es nicht.
Die syrische Nachrichtenagentur SANA berichtete, ein mögliches Treffen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyib Erdogan sei nicht besprochen worden. Putin sei darüber informiert, daß vor einer so hochrangigen syrisch-türkischen Begegnung zunächst der Abzug türkischer Truppen aus dem Norden Syriens umgesetzt werden müsse. Zudem müsse es eine Lösung geben, was mit den von der Türkei unterstützten Terrorgruppen in der Region Idlib und nördlich von Aleppo geschehen solle.
Der UNO-Sonderberichterstatter für Syrien, Geir Pedersen begrüßte bei einer Diskussion im UNO-Sicherheitsrat am Montag eine mögliche Annäherung zwischen der Türkei und Syrien. Zunächst seien aber noch die Fragen der Rückkehr von Inlandsvertriebenen sowie von syrischen Flüchtlingen aus der Türkei zu klären. Er forderte alle regionalen und internationalen Akteure auf, gemeinsam an Lösungen zu arbeiten, die eine Rückkehr der syrischen Flüchtlinge in ihre Heimat unter guten Bedingungen ermöglichen könnten.
Die angekündigte Reform des Militärdienstes in Syrien begrüßte Pedersen ebenso, wie die syrische Zusage, daß der türkisch-syrische Grenzübergang Bab al-Hawa für Hilfslieferungen nach Idlib weiter geöffnet sein werde.