Land in Schutt und Asche
Zehntausende Todesopfer nach Flutkatastrophe in Libyen. Von NATO-Staaten verursachtes politisches Chaos verhindert effektive Hilfe
Die Zahl der dokumentierten Todesopfer der Flutkatastrophe in Libyen schnellt weiter in die Höhe und könnte allein in der am härtesten getroffenen Stadt Darna auf bis zu 20.000 steigen. Dies berichtete der Bürgermeister der Stadt, Abd Al-Moneim Al-Gheiti, bereits in der vergangenen Woche dem saudischen Fernsehsender Al-Arabija. In Darna waren nach dem Bruch zweier Dämme ganze Stadtviertel von den Fluten weggespült worden und hatten sehr viele Menschen mit sich gerissen. Immer noch werden rund um die Uhr Leichen gefunden, die im meterhohen Schlamm stecken oder im Meer treiben.
Zu den Opfern aus Darna selbst kommt eine unbekannte Zahl an Flüchtlingen hinzu, die sich auf dem Weg nach Europa an der ostlibyschen Küste gesammelt hatten und dort gleichfalls von den Fluten hinweggespült wurden. Wie viele von ihnen ertranken, wird wohl nie festzustellen sein.
Erschwert werden die Rettungsaktivitäten durch die desaströsen politischen Verhältnisse in Libyen, die nach dem Schock unter dem ersten Eindruck der Katastrophe nun in den Blick geraten. Hätten die libyschen Behörden angemessen funktioniert, hätten sie die Bevölkerung rechtzeitig warnen und evakuieren können, kritisierte Petteri Taalas, der Generalsekretär der World Meteorological Organization der UNO, am Donnerstag vergangener Woche in Genf.
Über funktionierende Behörden verfügt Libyen allerdings nicht mehr, seit die NATO-Staaten das Land im Jahr 2011 in Schutt und Asche legten, um Muammar Al-Ghaddafi zu stürzen und zu ermorden. Seither wird es durch einen immer wieder aufflackernden Bürgerkrieg geplagt.
Zwei Regierungen – eine in Tripolis, eine im ostlibyschen Bengasi – beanspruchen jeweils die politische Macht für sich. Auf der Straße herrschen Milizen, in den Amtsstuben regiert die blanke Korruption. Libyens Infrastruktur ist – kein Wunder unter diesen Voraussetzungen – in einem desolaten Zustand. All dies hat nicht nur dazu geführt, daß in Darna die Instandhaltung der Dämme stark zu wünschen übrig ließ. Es erschwert nun auch die Koordination der Hilfsaktivitäten ganz erheblich.
Die Wut über die staatlichen Mißstände wächst in der Bevölkerung in rasantem Tempo, wie man Berichten aus den Überresten der Stadt entnehmen kann. Kenner des Landes wie Tarek Megerisi vom European Council on Foreign Relations (ECFR) warnen bereits, da zeichneten sich womöglich Aufstände ab. Megerisi verweist zudem auf Beiträge in den sozialen Medien, in denen es heißt, »Europa« habe den korrupten libyschen Herrschaftszirkeln nicht nur mit dem Bombardement von 2011 den Weg gebahnt, sondern sich immer wieder auch mit ihnen arrangiert, etwa zur Flüchtlingsabwehr. Die Wut auf »Europa« könne leicht noch steigen.