Ausland27. Juni 2024

Bundestag beschließt Reform des Völkerstrafrechts. Unabhängigkeit der Justiz bezweifelt

Deutsche Ordnung für die Welt

von Ralf Hohmann

Mit großer Mehrheit hat der Deutsche Bundestag am 6. Juni das »Gesetz zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts« angenommen, gegen die Stimmen der AfD und in Abwesenheit der Deputierten des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Die Reform erweitert den Katalog der Kriegsverbrechen im 22 Jahre alten »Völkerstrafgesetzbuch« (VStGB) der BRD um den Tatbestand des »Verschwindenlassens von Personen«, verschiedene Sexualdelikte und – buchstäblich in letzter Sekunde am Vorabend der Abstimmung eingefügt – die Verursachung weitreichender Umweltschäden.

Die Neuerungen sind Teil der Gesetzgebungsoffensive in Folge der von Kanzler Olaf Scholz am 24. Februar 2022 proklamierten »Zeitenwende«. Die Verfolgung und Bestrafung von Kriegs- und Konfliktverbrechen rund um den Globus habe nach den Worten von Justizminister Marco Buschmann (FDP) »seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine dramatische Aktualität erlangt. Jetzt gilt es umso mehr, das internationale und deutsche Völkerstrafrecht mit Leben zu füllen.« Weshalb sich die BRD neben dem Strafgesetzbuch, in dem bereits alle erdenklichen Straftaten (über 400 an der Zahl) erfaßt sind, ein zusätzliches VStGB leistet, ist nicht unmittelbar verständlich.

Seit dem »Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs« (IStGH) von 1998 (Deutschland ist wie Luxemburg einer der 123 Unterzeichnerstaaten) obliegt dem IStGH die globale Strafverfolgung und Aburteilung von Kriegsverbrechen. Zuletzt rief sich das Gericht am 20. Mai durch Haftbefehle gegen drei Angehörige der Hamas sowie Israels Premier Netanjahu und Kriegsminister Galant in Erinnerung. Anders als die übergroße Mehrheit der Signatarstaaten des »Römischen Statuts« liest Deutschland aus der Präambel des Statuts nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht heraus, auch anstelle des IStGH selbst für Ordnung auf dem Globus zu sorgen. Juristisch und vor allem politisch ist dieses sogenannte Weltrechtsprinzip eine originelle Konstruktion, erlaubt es doch die strafrechtliche Verfolgung von Völkerstraftaten überall auf der Welt, gleich ob ein Deutscher beteiligt ist oder deutsche Belange überhaupt berührt sind.

Eine Handvoll Probeläufe hat die globale Strafverfolgung durch die deutsche Justiz schon hinter sich gebracht, wie 2015 die Verurteilung eines ehemaligen ruandischen Bürgermeisters wegen Beteiligung am Völkermord oder die Aburteilung einiger IS-Schergen wegen Kriegsverbrechen an den Jesiden im Nordirak. Fahrt aufgenommen hat die Strafverfolgung nach dem VStGB aber seit März 2022 mit verschiedenen »Strukturermittlungsverfahren« (man sammelt Taten, hat aber keine konkreten Beschuldigten) in der Ukraine. Greifbare Ergebnisse liegen hier auch nach zwei Jahren »intensiver Ermittlungen« nicht vor.

Kein Zufall, daß die Ampel-Regierung am Vorabend der Verabschiedung des neuen VStGB noch schnell die Schädigung der Umwelt durch Kriegshandlungen in das Gesetz hineingeschrieben hat. Wenige Tage vorher hatte die von der deutschen Regierung gesponserte »Initiative on Greenhouse Gas Accounting of War (IGGAW)«, mit Sitz in Kiew, eine »Klimaschaden-Reparationsforderung« gegen Rußland in Höhe von 32 Milliarden US-Dollar aufgemacht – ein neuer Ermittlungsansatz für die deutsche Generalbundesanwaltschaft in Sachen Ukraine-Krieg.

Und damit die Ermittlungen nicht einschlafen, hat sich die deutsche Regierung auch das Recht des Justizministers vorbehalten, die Generalbundesanwaltschaft notfalls zum Jagen zu tragen. Gemäß Paragrafen 146, 147 des deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes kann das deutsche Justizministerium Weisungen an die Staatsanwaltschaft (geläufiges Juristen-Bonmot: die »objektivste Behörde der Welt«) erteilen, ob überhaupt Ermittlungen einzuleiten, nicht einzuleiten, einzustellen sind oder wie im Zweifelsfall ein Strafgesetz auszulegen ist. Der Deutsche Richterbund empörte sich: »Allein der böse Anschein, daß Minister Strafverfahren aus dem Hintergrund politisch steuern könnten, erschüttert das Vertrauen in eine objektive und nur den Gesetzen verpflichtete Strafverfolgung.« Objektivität und Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft? Den Parlamentsfraktionen von CDU bis Grünen war’s egal.