Ausland20. Juni 2024

Sport im Schatten von Polizei und Gendarmerie

Antiterrormaßnahmen begleiten die Olympischen Spiele in Paris. Die Kontrollen und Einschränkungen werden massiv sein

von Ralf Klingsieck, Paris

Anfang Juni hatte der französische Innenminister Gérald Darmanin darüber informiert, daß in Saint-Etienne, wo Anfang August Fußballspiele der Olympischen Spiele stattfinden, ein geplanter Terroranschlag vereitelt werden konnte. Bei dem Täter handelt es sich um einen aus der russischen Republik Tschetschenien stammenden 18-jährigen Islamisten. »Er wollte unter den Besuchern ein Blutbad anrichten und dann im Schußwechsel mit der Polizei als Märtyrer sein Leben lassen«, erläuterte Darmanin. Dieser Überfall konnte durch vorbeugende Ermittlungen im Internet und die rechtzeitige Verhaftung des Täters abgewendet werden. Es ist ein Einzelfall, einer von vielen Sicherheitsproblemen, mit denen Polizei, Gendarmerie und Geheimdienste im Vorfeld der Olympischen Spiele konfrontiert sind, betonte der Innenminister.

Tatsächlich sind die Herausforderungen für die Sicherheitskräfte groß. Es gilt, 878 Wettkämpfe in 54 Disziplinen abzusichern, an den zunächst 10.500 Sportler bei den Olympischen Spielen und dann 4.350 Athleten bei den Paralympischen Sommerspielen teilnehmen. Neben den Olympiastätten in Paris zählen auch die Stadien von Bordeaux, Lille, Lyon, Nantes, Nizza und Saint-Etienne zu den Austragungsorten. Außerdem finden an der Küste vor Marseille die Segelregatten statt. Hinzu kommen die Surfwettkämpfe vor der Pazifikinsel Tahiti im 16.000 Kilometer entfernten Polynesien.

Potentiell bedroht wird der Frieden der Spiele durch Terroranschläge, Cyberangriffe und Epidemien, wobei die Terrorabwehr derzeit die größte Herausforderung für die Sicherheitskräfte ist, betont der Pariser Polizeipräfekt Laurent Nunez. »Das größte Kopfzerbrechen bereitet uns die Eröffnungszeremonie. Sie findet erstmals in der olympischen Geschichte nicht in einem Stadion, sondern auf und entlang der Seine mitten in Paris statt.« Dabei fahren die Sportlerdelegationen von der Bercy-Brücke im Osten bis zum Eiffelturm im Westen auf mehr als 100 unterschiedlich großen Ausflugsschiffen. »Diese Zeremonie können 100.000 geladene Gäste am Seineufer aus der Nähe verfolgen, während 200.000 Besucher weiter oben kostenlos am Straßenrand stehen und zusehen können«, sagt der Präfekt. »Aber alle müssen im Handy einen QR-Code haben, der ihnen bescheinigt, daß sie die Sicherheitsüberprüfung erfolgreich absolviert haben.«

Diesen Code kann man seit Mitte Mai auf einer staatlichen Internetseite beantragen. Anhand der persönlichen Daten wird jeder Antragsteller überprüft, indem seine Angaben mit rund einem Dutzend Datenbanken der Polizei, der Justiz, des Zolls sowie der Geheimdienste verglichen werden. Wer dabei nicht als »Sicherheitsproblem« auffällt, bekommt per E-Mail seinen Code. Den benötigen nicht nur die Pariser, sondern auch Touristen zwischen Mitte Juli und Mitte September für alle Straßen im Zentrum und entlang der Seine, für die dort gelegenen Restaurants und Museen und für die Umgebung der großen Sportstätten. Autofahrer würden noch stärker eingeschränkt als Fußgänger, erläutert der Präfekt, Fahrten seien im Zentrum nur für Anwohner sowie für den öffentlichen Verkehr, Krankenwagen sowie für unerläßliche Versorgungen erlaubt.

Véronique Siegel, die Präsidentin des Hotellerie- und Gastronomieverbandes Umih, rechnet wegen der vielen Vorschriften damit, daß sich die hohen Erwartungen, die Unternehmen in die Spiele gesetzt hatten, nicht erfüllen werden. »Die vielen Berichte in den in- und ausländischen Medien über die scharfen Sicherheitskontrollen verschrecken Touristen, die daher Paris in diesem Sommer lieber meiden werden. Das dürften mehr Menschen sein als die extra anreisenden Olympia-Besucher.« Erst vor einigen Tagen sei wieder eine neue Anordnung mitgeteilt worden. »In bestimmten Gebieten der Stadt müssen die Terrassen vor den Cafés und Restaurants für die Zeit der Spiele leer bleiben. Für die betroffenen Kollegen ist das ein großer Verlust. Bei vielen macht das im Sommer mehr als die Hälfte ihres Umsatzes aus. Ob es dafür eine Entschädigung gibt, ist noch völlig offen«, sagt die Branchenvertreterin.

Koordiniert werden die Sicherheitsmaßnahmen von einer eigens eingerichteten Zentrale beim Innenministerium. Für die Sammlung aller sicherheitsrelevanten Informationen und für die Überprüfung der auf gut eine Million geschätzten Antragsteller für einen QR-Code wurde beim Innenministerium eine Informationszentrale gebildet. Um die Einhaltung all dieser Vorschriften zu kontrollieren, sind 30.000 Polizisten und Gendarmen sowie 22.000 Mitarbeiter privater Sicherheitsfirmen im Einsatz. Bei den staatlichen Sicherheitskräften wurde für die Monate Juli bis September bereits eine Urlaubssperre verhängt. Doch die Sicherheitsfirmen haben große Schwierigkeiten, die nötigen Personen zu finden, die man für drei Monate einstellen und ausbilden könnte, zumal bekannt ist, wie schlecht in dieser Branche Arbeitsbedingungen und Bezahlung sind.

Für den Tag der Eröffnungszeremonie wurde für den Luftraum von Paris und einen Kreis von 150 Kilometern um die Stadt ein absolutes Flugverbot verhängt, so daß zwischen 19 Uhr und Mitternacht auch der Verkehr auf den Flughäfen Roissy, Orly und Le Bourget ruhen wird. Für die Dauer der Olympischen und der Paralympischen Spiele werden rund um Paris Einheiten der Luftabwehr stationiert, die vor allem eindringende Drohnen aufspüren und unschädlich machen sollen.

Heftige Diskussionen gab es um die Frage, wieweit Videoüberwachung bei der Absicherung der Spiele einbezogen werden soll und welche technischen Möglichkeiten dabei genutzt werden. Ein 2023 erlassenes Gesetz legte fest, daß Videoüberwachung mit »intelligenten Kameras« erlaubt ist, um Sicherheitsprobleme zu erkennen, aber nicht mit »Gesichtserkennungs-Software«, was die automatische Identifizierung jeder im Bild erfaßten Person bedeuten würde.

Die gesetzlich zulässige Videoüberwachung kann allerdings mittels Künstlicher Intelligenz Auffälligkeiten im öffentlichen Raum erkennen. Automatisch werden Personen festgestellt, deren Verhalten auf Sicherheitsprobleme schließen läßt. Die Bildauswertung erkennt beispielsweise Personen, die verdeckt Schußwaffen mit sich führen, aber auch verdächtige Taschen oder unbeaufsichtigte Gegenstände. Ferner können Personen aufgespürt werden, die am Boden liegen oder bedenkliche Menschenansammlungen von mehr als fünf Personen pro Quadratmeter.