Syrisch-türkische Annäherung
Arabische Liga, China, Rußland und Iran vermitteln im Nahen Osten
Die Veränderung globaler Machtverhältnisse ermöglicht Lösungen für langjährige Konflikte
Während Israel seinen Angriffskrieg gegen das Volk Palästinas ungebremst von seinen westlichen Partnern, vor allem in den USA, Deutschland, EU und Britannien fortsetzt und gleichzeitig dem Libanon droht, das Land »in die Steinzeit zu bomben«, gibt es deutliche Entspannungszeichen in und um Syrien.
Im Rahmen des diesjährigen Gipfeltreffens der Schanghai Organisation für Zusammenarbeit in der kasachischen Hauptstadt Astana erklärte der türkische Präsident Recep Tayyib Erdogan, er denke daran, den syrischen Präsidenten Baschar al Assad in die Türkei einzuladen, um gemeinsam einen »neuen politischen Prozeß« beginnen zu können. Die »vergangenen Jahre in Syrien haben allen deutlich gemacht, daß ein Mechanismus für eine dauerhafte Lösung« eingerichtet werden müsse, so Erdogan am Rande des SOZ-Gipfels am vergangenen Freitag vor Journalisten, die den türkischen Präsidenten begleiteten. Der russische Präsident Putin habe sich bereiterklärt, den Besuch von Assad zu vermitteln, wenn er selber seinen lange geplanten Staatsbesuch in der Türkei antreten werde.
Erdogan will Präsident Assad einladen
Russische Medien berichteten von einer Begegnung zwischen Erdogan, Assad und Putin, die es in Moskau gegeben habe. Das Treffen habe »abseits der Medien« stattgefunden, in dem Gespräch sei es auch um die syrischen Flüchtlinge in der Türkei und um die Lage im Norden und Westen Syriens gegangen. Präsident Assad sei mit einer großen Ministerdelegation in Moskau zu einem Besuch eingetroffen. Weder Fotos noch weitere bisher zugängliche Berichte bestätigen diese Angaben.
Syriens Präsident Assad hatte sich bisher geweigert, einem Treffen mit Erdogan zuzustimmen, solange türkische Truppen weiterhin syrisches Territorium entlang der syrisch-türkischen Grenze besetzt hielten. Die Türkei hat Truppen und Einheiten des militärischen Geheimdienstes MIT sowohl in Idlib, als auch westlich von Aleppo in dem Gebiet um die Stadt Afrin, nördlich von Aleppo in der Stadt Azaz und im Nordosten von Aleppo in Al Bab und Jarabulus im Einsatz. In diesen Gebieten hat die Türkei weiterhin bewaffnete Gegner der syrischen Regierung unterstützt und finanziert eine »Nationale Syrische Armee«, die unter dem Kommando der türkischen Streitkräfte steht.
Während in Al Bab und Jarabulus durch russische Vermittlung zwischen Syrien und den von der Türkei unterstützten Kräften eine Art Kooperation besteht, verweigern die dogmatischen islamistischen Kräfte der Terrororganisation Hayat Tahrir al Sham (HTS) in Idlib jeglichen Dialog. Den Anspruch auf eine 30 Kilometer breite Pufferzone auf syrischem Territorium entlang der Grenze hat Ankara bisher mit den politischen und militärischen Aktivitäten der kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte begründet.
Die türkische Regierung Ankara gibt an, diese Kräfte würden von der Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, geführt, die von der Türkei sowie von NATO- und EU-Mitgliedstaaten als »Terrororganisation« gelistet ist. Ankara bezeichnet die kurdischen Aktivitäten im Norden Syriens als »Bedrohung der nationalen Sicherheit der Türkei«.
Türkisch-syrische Gespräche in Bagdad
Die syrische Tageszeitung »Al Watan« berichtete am Montag unter Berufung auf Regierungskreise in Damaskus, die irakische Hauptstadt Bagdad bereite sich aktuell auf den Beginn von syrisch-türkischen Gesprächen vor. Ziel sei es, »die bilateralen Beziehungen zu normalisieren« und sich hinsichtlich der Grenzregion zwischen beiden Ländern auf eine Vereinbarung zu verständigen. Eine »dritte Partei« werde nicht teilnehmen. Rußland und der Irak hätten demnach die Gespräche vermittelt, die »ohne Medienöffentlichkeit« stattfinden sollen. Die bilaterale Annäherung der beiden Länder erhalte »breite Unterstützung sowohl in der arabischen Welt, als auch von Rußland, China und dem Iran«.
Abseits der Medienöffentlichkeit
Seit Monaten haben bilaterale Treffen zwischen türkischen und syrischen Diplomaten meist abseits der Medienöffentlichkeit stattgefunden. Die Treffen fanden unter irakischer und iranischer Vermittlung auf der Ebene der Geheimdienste, des Militärs und der Außenministerien statt. Beide Seiten waren von Verbündeten zu einer Einigung gedrängt worden, um Syrien in einer von Krisen und Kriegen gezeichneten Region wieder zu stabilisieren.
Während Präsident Assad laut ebenfalls unbestätigten Berichten beim jüngsten Gipfeltreffen der Arabischen Liga in Manama besonders von den arabischen Golfstaaten Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) ermuntert wurde, auf Erdogan zuzugehen, wurde Erdogan von Rußland ebenfalls aufgefordert, die Annäherung an Syrien voranzutreiben. Für die Türkei, die immerhin Mitglied im USA-geführten Militärbündnis NATO ist, sind vor allem »Sicherheitsgarantien« und wirtschaftliche Vereinbarungen wichtig.
Für Syrien dürfte neben der staatlichen Souveränität und der Kontrolle über die eigenen Grenzen auch die Frage der Wiedergutmachung von wirtschaftlichen Einbußen von Bedeutung sein, die besonders im industriellen Sektor in und um Aleppo durch von der Türkei und anderen Staaten unterstützte bewaffnete Gruppen verursacht wurden. Unterstützung braucht Syrien auch bei der Wiedereingliederung syrischer Flüchtlinge, die aus Jordanien, Libanon und der Türkei zurückkehren sollen.
Im Gegenzug für diese Unterstützung, die auch von den arabischen Golfstaaten kommen könnte, fordern diese Staaten »politische Reformen« in Syrien. Daß die Regierung in Damaskus bereit ist, darauf einzugehen, zeigte sich vor wenigen Tagen in der Ankündigung des syrischen Verteidigungsministeriums, die Struktur der syrischen Streitkräfte langfristig zu modernisieren. Als ersten Schritt sollen Soldaten und Offiziere, die lange Jahre während des Krieges in Syrien dienen mußten, bis zum Ende des Jahres nach Hause geschickt werden.
Diese überfällige Entscheidung war innerhalb und außerhalb Syriens seit langem gefordert worden. Viele junge Männer hatten Syrien während der Kriegsjahre verlassen, weil sie keinen Kriegsdienst leisten wollten. Diejenigen, die in Syrien geblieben waren und deren Dienstzeit immer weiter verlängert wurde, fehlen auf dem syrischen Arbeitsmarkt, auch um mit ihrer Arbeit ihre Familien wieder ernähren zu können.
Die Türkei »strecke ihre Hand in Freundschaft zu Syrien aus«, so Präsident Erdogan, der zu Beginn des Syrienkrieges 2011/12 ganz andere Töne von sich gab und – mit Hilfe arabischer Golfstaaten, der USA und anderer NATO-Länder – einer der Akteure war, die halfen, aufständische Regierungsgegner in Syrien zu bewaffnen.
Syriens Infrastruktur sei zerstört und die Bevölkerung sei in alle Richtungen zerstreut. Die dadurch entstandene Instabilität müsse beendet werden, sagte Erdogan in Astana. Nun wehe in Syrien ein »Friedenswind« und die »Atmosphäre des Friedens« sei notwendig, damit »die Millionen Menschen, die in vielen Ländern verstreut sind, in ihre Heimat zurückkehren können.«
Neue Zukunft mit BRICS und SOZ
Das Interesse der Türkei, wie bereits andere Staaten der Region Anschluß an die Allianz des Staatenbündnisses BRICS zu suchen, hat die syrische-türkische Annäherung befördert. Der Iran, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Saudi-Arabien sind seit Anfang 2024 Mitglieder von BRICS und stimmen die regionale Politik zunehmend auch mit China und Rußland ab.
Im Rahmen der Shanghai Organisation für Zusammenarbeit sitzen diese Staaten auch mit der Türkei und den zentralasiatischen Staaten zusammen, um die politische und wirtschaftliche Kooperation zu koordinieren. Neben dem chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping saß der Emir von Katar, Scheich Tamim al Thani, der sich später mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin traf, der ihn zu einem Staatsbesuch nach Rußland einlud. Al Thani nahm die Einladung an. Katar hat bisher auf der Seite der Türkei die Gegner der syrischen Regierung unterstützt.
Der jüngste Gipfel der SOZ in Astana hat sich explizit für eine »gerechte Lösung der Palästinafrage« ausgesprochen. Das Bündnis lehnt »einseitige Sanktionen« ab und plant, einen SOZ-Investitionsfonds zu schaffen, um Staaten unabhängig von westlichen Geldquellen und damit verbundenen Forderungen zu unterstützen. Gemeinsam und auf bilateraler Ebene wollen die SOZ-Staaten »eine neue Sicherheitsarchitektur in Eurasien aufbauen«.
BRICS und SOZ planen, die arabischen Staaten, den Iran und die Türkei bei ihrem Vorhaben zu unterstützen, die Region zwischen dem östlichen Mittelmeer und dem Persischen Golf nach jahrzehntelangen Krisen und Kriegen im eigenen Interesse zu stabilisieren. Syrien hat für die Region strategische Bedeutung, daher soll für die Stabilität des Landes, einschließlich der Rückkehr der syrischen Flüchtlinge und dem Wiederaufbau, eine engere Zusammenarbeit entwickelt werden.