Zynische Sonntagsargumente
Die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, wie viel mehr technologisch bereits jetzt möglich ist und wie wenig davon im Alltag überhaupt in der breiten Masse zum Einsatz kommt. Von Telearbeit über Videosprechstunden bis hin zu Online-Shopping war in den Jahren, in denen das Virus uns im Griff hatte, vieles möglich.
Viele technische Möglichkeiten wurden im Anschluß wieder eingestampft, obwohl sie auch abseits einer Notlage durchaus Sinn machten, wo sie möglich sind. So wurden etwa die Angestellten von einigen Unternehmen in diesem Jahr aus dem Home Office zurück in die Büros beordert, obwohl diese mehrheitlich die Heimarbeit befürworteten und auch zahlreiche Erfahrungen aus der Praxis zeigen die vielfachen Vorteile. Die Einkassierung der Telearbeit wurde vom Patronat lapidar damit kommentiert, daß die Pandemie nun mal vorbei sei.
Auch ein anderer Bereich hat durch die Pandemie einen starken Schub erfahren: Der Online-Handel. Plötzlich war es möglich, sich ein Buch aus der Buchhandlung nach Hause liefern zu lassen oder eine Flasche Gin. Zwar lahmt die dezidierte Online-Plattform »LetzShop« noch an Angebot und Auswahl, doch viele Einzelhändler haben zwischenzeitlich eigene Online-Präsenzen eingerichtet. Der Trend geht zum Online-Einkauf. Es erscheint eben so viel bequemer, sich am PC oder Smartphone auszusuchen, was man benötigt, oftmals auch mit individueller Beratungsmöglichkeit ohne leidige Sprachbarrieren und einem weitaus diversifizierteren Angebot, als in den Geschäften. Während der stationäre Einzelhandel in Luxemburg jahrelang nur auf große Verkaufsflächen setzte und die samstägliche Fahrt zum Einkaufszentrum für die einen zum Freizeit-Ritual, für die anderen zum Horrortrip wurde, bewegte sich in den Nachbarländern deutlich früher etwas in Sachen Online-Angebot.
Die Handelsunternehmen haben aber auch hierzulande nun endgültig Lunte gerochen, und Personal für all die neuen Vorhaben muß neben logistischen Aufgaben im Versand auch im stationären Bereich her: Nicht nur ist das Frohlocken groß, daß der CSV-Arbeitsminister quasi eine Ausweitung der Arbeitszeit an Sonntagen zu verfügen gedenkt, auch daß das Bildungsministerium noch stärker im Interesse der Wirtschaft darauf achten möchte, viele kleine nützliche Zahnrädchen für die Wettbewerbsfähigkeit heranzuzüchten. Auch stimmt das Patronat in die zynische Behauptung des Ministers ein, durch die Sonntagsarbeit könne der Beschäftigte ja seine Kaufkraft erhöhen und wenn er sich schon aus Frankreich oder Belgien zum Arbeitsplatz begeben müsse, würde es sich doch mehr lohnen, gleich acht statt vier Stunden dort zu bleiben. Am meisten würde sich vermutlich lohnen, nicht nur den nackten Mindestlohn zu bekommen, wie immer noch vielerorts im Sektor aufgrund noch immer zahlreich fehlender Kollektivverträge
Aber auch dieses häßliche Bild soll künftig verschwinden. Denn geht es nach der neuen Regierung, sollen künftig Kollektivverträge ohne Gewerkschaften am Tisch, direkt mit ausgewählten Personalvertretern von »gelben Listen« verhandelt werden. Wer hier an Besserungen glaubt, der glaubt vermutlich auch daran, daß Kunden ihr Geld am Sonntag ein zweites Mal in den Laden tragen, oder an den Weihnachtsmann.