Wieder einmal Zoff mit den USA
Im August gelang es dem Präsidenten der USA, ein viertes Investitionsprogramm durch beide Häuser des Kongresses verabschieden zu lassen. Es war das kleinste dieser vier Programme mit einem Umfang von nur etwa 370 Milliarden US-Dollar und heißt den aktuellen Kümmernissen der Bürger entsprechend »Inflation Reduction Act (IRA)«, also Inflationssenkungsgesetz.
Vier Monate später fiel der Industrielobby in Brüssel, einigen Regierungschefs der EU und der gegenüber Beschwerden der Business-Community stets hellhörigen Kommissionschefin Ursula von der Leyen ein, daß einige Details des IRA Unternehmen in den EU-Ländern dazu veranlassen könnten, ihre Arbeitsstätten nach Nordamerika zu verlegen. In Joseph Bidens Industrieförderprogramm finden sich augenscheinlich Regeln, die die steuerliche Förderung der Produktion von Elektroautos an den Einbau einer in Nordamerika hergestellten Batterie zur Voraussetzung macht.
In der Tat, ein böser protektionistischer Trick. Die wenigen in EU-Europa mit Mühe steuerlich geförderten und hochgepäppelten Autobatteriehersteller werden deshalb vielleicht einen Standortwechsel nach Kanada oder in die USA vornehmen. Von der Leyen warnt: »Das IRA kann den Wettbewerb verzerren, Lieferketten gefährden und zu einer Abschottung von Märkten führen.« Der deutsche Finanzminister Christian Lindner ergänzt, das IRA könne »ernsthafte Konsequenzen für die europäische Wirtschaft« haben.
Da aus Washington nur verlautete, das Inflationssenkungsgesetz werde nicht mehr verändert, änderte die Industrielobby in EU-Europa ihren Tonfall. Statt einer Klage bei der Welthandelsorganisation (WTO) sei es besser und dringend notwendig, ganz wie die Amis den Klimaschutz und die Energieversorgung (und die in diesen Bereichen tätigen) EU-Unternehmen kräftig zu fördern.
Der deutsche Kanzler Olaf Scholz, sonst solchen Wünschen gegenüber aufgeschlossen, wies darauf hin, daß große Teile des bisher letzten EU-»Wiederaufbaufonds« (750 Milliarden Euro) noch keine Verwendung gefunden hätten. Andere Akteure reagierten da flexibler und positiver. Zum Beispiel der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). In einem Flugblatt vom 8. Dezember wird das IRA sehr gelobt. So könnten dadurch zum Beispiel die Treibhausgasemissionen der USA bis 2030 im Vergleich zu 2005 um 42 Prozent reduziert werden. Also meint der DGB: »Internationaler Handel ist sinnvoll, kein Land sollte sich abschotten. Aber eine aktive Industriepolitik für gute Arbeit und Klimaschutzinvestitionen in den USA ist richtig. Statt zu lamentieren, sollte die EU nachziehen.«
Wahrscheinlich sollte man das leichte Aufbegehren in Richtung Washington als eine Art Ersatzhandlung bewerten. Schließlich hat die von Kanzler Scholz verkündete »Zeitenwende« mehr als nur ernste Konsequenzen für die EU-Wirtschaft. Das Abknipsen der billigen Energiezufuhr aus Rußland bedeutet, wie englischsprachige Blätter konstatieren, auch das Ende des »deutschen Geschäftsmodells«. Sich dagegen aufzulehnen, scheint Kapital und Politik in unseren Breiten als völlig aussichtslos. Da bleibt eben nichts anderes übrig, als alberne Scheingefechte zu führen.