Nichts anderes als eine Enteignung
G7-Finanzminister streiten über Umgang mit russischen Vermögenswerten
Vor zwei Jahren »klauten« die NATO- und G7-Staaten die finanziellen Vermögenswerte der russischen Zentralbank, die als sogenannte Bankguthaben bei deren Zentralbanken bestanden. Das Wort »klauen« (oder auch »rauben, stehlen, entwenden, enteignen«) wurde damals von den Akteuren nicht verwendet. Das ist insofern plausibel, weil das Eigentum der russischen Zentralbank damals im Frühjahr 2022 auch von den Akteuren formal nicht in Frage gestellt wurde.
Statt dessen wurde das viele Geld (etwa 300 Milliarden Euro) lediglich »eingefroren«, wie es damals genannt wurde. Die russische Zentralbank konnte auf Anweisung der westlichen Regierungen nicht mehr über ihre Konten bei beispielsweise der Deutschen Bundesbank, der Banque de France und auch bei deren Tochtergesellschaft der Europäischen Zentralbank (EZB) verfügen. »Eingefroren« heißt zwar, die unbestrittene Eigentümerin, die russische Zentralbank kann nicht über dieses Eigentum verfügen, allerdings auch niemand anders.
Die Räuber schreckten (noch) davor zurück, das russische Eigentum zu konfiszieren, selber nach Belieben darüber zu verfügen, etwa es an die Armen ihrer Länder zu verteilen, die eigenen Staatshaushalte zu sanieren oder das viele Geld an die Ukraine als Kredit oder zinslosen Zuschuß für deren Waffenkäufe weiterzureichen.
Vor einem Jahr begann die Diskussion unter den Wirtschaftskriegern, ob und wie genau das passieren könne. Da, wo der administrative Raubüberfall tatsächlich stattfand, bei den Zentralbankern, fanden sich die am wenigsten scharfen Töne: Christine Lagarde, die Präsidentin der EZB, warnte, wenn man vom »Einfrieren der Guthaben zu ihrem Konfiszieren und ihrer Weitergabe übergehe, muß man sich das sehr sorgfältig ansehen«. Denn das bedeute »einen Bruch der internationalen Rechtsordnung, die man eigentlich schützen will und von der man schließlich erwartet, daß Rußland und alle anderen Länder sie respektieren sollten«.
Ganz anders die Finanzministerin der USA, Janet Yellen. Sie hatte sich vorgenommen, beim Finanzministertreffen der G7 im italienischen Stresa am Freitag und Sonnabend vergangener Woche eine »harte Lösung« der Nutzung des russischen Geldes zugunsten der Ukraine durchzusetzen. Die »weiche Lösung«, bisher von der EU unter Führung von Frankreich und Deutschland bevorzugt, sieht so aus: Nur die Zinserträge, die auf die russischen Guthaben anfallen, sollen in die Unterstützung der Ukraine fließen. Sie fallen vor allem bei der Brüsseler Wertpapierabrechnungsstelle Euroclear an. Es handelt sich bisher um jährlich einstellige Milliardenbeträge. »Es geht um die Erträge aus den eingefrorenen Vermögenswerten. Es geht nicht um die Vermögenswerte an sich«, sagte der deutsche Regierungssprecher Steffen Hebestreit am 25. Mai in Berlin.
Die harte Haltung der USA-Regierung ist einfallsreicher. Danach werden die Erträge aus den russischen Guthaben kalkulatorisch aufsummiert. Die Summe wird dann als Sicherheit oder Pfand für eine von der Ukraine emittierte große Anleihe verwendet, die von den westlichen Geberstaaten garantiert wird. Klassische Kriegsfinanzierung eben. Die Kriegsbeute dient als Pfand für die Schuldenübernahme. Dazu muß man sie sich allerdings auch formal aneignen.
Washington ist auch deshalb für die harte Lösung, weil die in den USA eingefrorenen Guthaben, aus denen dann Zinsen resultieren, viel geringer sind als in den europäischen Rußland-Feindstaaten. Der wichtigere Grund dürfte sein, daß eine Waffenstillstands- oder gar Friedenslösung im Ukraine-Krieg umso schwieriger wird, je mehr harte Fakten wie eine endgültige Eigentumsübertragung geschaffen werden. Die G7-Finanzminister haben bei ihrem Treffen am vorigen Wochenende noch keine Einigung erzielen können. Ziel ist dem Vernehmen nach eine Verständigung beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs der G7 Mitte Juni in Apulien.
Die in Berlin und Brüssel favorisierte, kleine zahme Lösung ist selbstverständlich auch weder klein noch zahm. Der Moskauer Regierungssprecher Dmitri Peskow hat recht und den schlichten Alltagsverstand auf seiner Seite, wenn er vermerkt: »Selbst die kleinere Option ist für uns nichts anderes als eine Enteignung«.